Zwangsvollstreckung im Arbeitsrecht nach Abfindungsvergleich:
Nachstehend wird eine häufig unterschätze Konstellation aus dem Bereich des Arbeitsrechts mit anschließender Zwangsvollstreckung dargestellt. Der Arbeitnehmer hat vor dem Arbeitsgericht im Wege einer Kündigungsschutzklage eine Abfindung im Zuge eines Vergleichs geschlossen. Der Arbeitgeber behauptet, er habe Sozialleistungen abgeführt. Er kürzt daher den Nettobetrag, den er an den Arbeitnehmer auszahlt um diese Beträge. Es kann dahinstehen, ob diese Sozialversicherungsbeträge tatsächlich, wie vom Arbeitgeber behauptet und von der Arbeitnehmerin bestritten, abgeführt hat. Tatsächlich hat der Arbeitgeber den dem Arbeitnehmer vorenthaltenen Betrag zu zahlen. Der Obergerichtsvollzieher hatte die Zwangsvollstreckung erst eingestellt und erst nach dem Beschluss des Landgerichts Dortmund die Zwangsvollstreckung wieder aufgenommen. Zwischenzeitlich konnte der Betrag beigetrieben werden. Es bleibt festzuhalten, dass der Arbeitnehmer sich auf derartige Kürzungen nicht einlassen braucht.
Zwangsvollstreckung im Arbeitsrecht, die Entscheidung:
9 T 320/12 Landgericht Dortmund
15 M 829/12 Amtsgericht Lünen
Landgericht Dortnund
Beschluss
In der Zwangsvollstreckungssache
der Frau … , Dortmund,
Gläubigerin,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Reissenberger, Ostenhellweg 53, 44135 Dortmund,
gegen
die … GmbH, Lünen,
Schuldnerin,
Beteiligte am Beschwerdeverfahren:
Frau …, Dortmund,
Gläubigerin,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Reissenberger, Ostenhellweg 53, 44135 Dortmund,
hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund
auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 4. Juni 2012
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lünen vom 14. Mai 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Witthüser als Einzelrichter
am 13. August 2012
beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Der Obergerichtsvollzieher _ aus Lünen wird angewiesen, die Zwangsvollstreckung gegen die Firma in Dortmund GmbH aus Ziffer 2. des am 2. September 2011 vor dem Arbeitsgericht Dortmund abgeschlossenen Vergleichs – 1 Ca 3559/11 – entsprechend dem Vollstreckungsauftrag der Gläubigerin vom 25. Januar 2012 fortzusetzen.
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Ziffer 2. des am 2. September 2011 vor dem Arbeitsgericht Dortmund abgeschlossenen Vergleichs fehlt es nicht an der erforderlichen inhaltlichen Bestimmtheit. Insoweit genügt es, dass in dem Prozessvergleich die Höhe des von der früheren Arbeitgeberin der Gläubigerin zu zahlenden Bruttobetrages festgelegt worden ist. Durch die bloße Nennung des Bruttobetrages entstehen keine Unklarheiten über den Inhalt des Prozessvergleichs (BGH NJW 1979, 2634; LAG Saarland, Beschluss vom 8. September 2006 – 2 Ta 26/06 – ); dieser ist hinsichtlich des Zahlungsanspruchs vollstreckungsfähig (BGH NJW 1964,1338; OLG Frankfurt OLGZ 1990,327; LG Mainz Rpfleger 1998, 530 ). Liegt ein Titel vor, der einen Arbeitgeber zur Zahlung eines Bruttobetrages an einen Arbeitnehmer verpflichtet, so hat der Gerichtsvollzieher grundsätzlich den ‚vollen Bruttobetrag beizutreiben ( BGH NJW 2001,3570; BGH NJW 1964,1338; LG Stuttgart DGVZ 2009,187; LG Mainz Rpfleger 1998, 530; LAG Saarland Beschluss vom 8. September 2006 – 2 Ta 26/06 ‑ ). Der Arbeitgeber kann aber mit den Rechtsbehelfen des Vollstreckungsrechts geltend machen, dass er den titulierten Zahlungsanspruch teilweise dadurch erfüllt habe, dass er die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge entsprechend den gesetzlichen Vorschriften an das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger abgeführt habe ( BGH NJW 1979, 2634; BGH WM 1966.758; OLG Frankfurt OLGZ 1990,327; LG Mainz Rpfleger 1998, 530; LAG Saarland Beschluss vom 8. September 2006 – 2 Ta 26/06 – ). Weist der Arbeitgeber dieses durch Urkunden im Sinne_des 5 775 Nr. 4 ZPO nach, ist dieZwangsvollstreckung insoweit einzustellen (BGH WM 1966, 758; BGH NJW 1964, 1338; LG Stuttgart DGVZ 2009, 187; LG Mainz Rpfleger 1998.530 ). Der Nachweis kann aber nicht durch eine selbst gefertigte Lohnabrechnung erbracht werden, da diese nicht den Anforderungen des § 775 Nr. 4 ZPO genügt ( LG Stuttgart DGVZ 2009, 187 ).
Danach durfte die Zwangsvollstreckung am 9. Februar 2012 nicht schon deshalb eingestellt werden, weil der frühere Arbeitgeber der Gläubigerin dem Obergerichtsvollzieher … eine Gehaltsabrechnung vorgelegt hat. Aber auch wenn man diese für eine Einstellung nach § 775 Nr. 4 ZPO als ausreichend ansieht, ist die Zwangsvollstreckung wegen des Differenzbetrages in Höhe von 263,03 € nebst Kosten fortzusetzen. Die Einstellung nach § 775 Nr. 4 ZPO ist lediglich eine vorläufige. Deshalb ist die Zwangsvollstreckung in jedem Falle fortzusetzen, wenn der Gläubiger die Befriedigung bestreitet und die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung ausdrücklich verlangt ( OLG Köln EWiR 1985,813; OLG Hamm DGVZ 1980,153; OLG Hamm MDR 1973, 857; LG Frankfurt DGVZ 1989, 42; LG Trier DGVZ 1978, 28; LG Berlin MDR 1976, 149; AG Hannover DGVZ 2010,42 ). Sinn und Zweck der Vorschrift des § 775 Nr. 4 ZPO ist es, im Interesse beider Parteien zu vermeiden, dass der Schuldner unnötigerweise nach den §§ 767 und 769 ZPO vorgeht, obwohl der Gläubiger unstreitig befriedigt ist und das Vollstreckungsorgan lediglich davon durch den Gläubiger noch nicht unterrichtet worden ist. Bestreitet dieser die Befriedigung, wird der gesetzliche Zweck vereitelt. In diesem Falle ist der Streit über die Erfüllung im Verfahren nach den §§ 767 und 769 ZPO auszutragen ( OLG Hamm DGVZ 1980,153; OLG Hamm MDR 1973.857; LG Frankfurt DGVZ 1989,42; LG Berlin MDR 1976,149; AG Hannover DGVZ 2010.42 ).
Die Gläubigerin bestreitet bereits, dass für sie überhaupt Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 263,03 €abgeführt worden seien. Ferner vertritt die Gläubigerin die Auffassung, dass auf die Bruttoabfindung keine Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten seien und sie eine entsprechende Zahlung nicht als Teilerfüllung des titulierten Anspruchs gegen sich gelten lassen müsse. Eine Klärung dieser Fragen kann nur im Verfahren nach den §§ 767 und 769 ZPO erfolgen.
Witthüser