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Rückwärtsfahren, Urteil LG Hagen

Rückwärtsfahren – Allgemeines:

Der heutige Fall beinhaltet eine häufige Unfallkonstellation. Zwei Pkw setzen auf einem Parkplatz oder auf der Straße zurück. Der Fahrer des einen Pkw bemerkt die Gefahrensituation und hupt. Der andere Pkw-Fahrer bemerkt die Gefahr nicht und passt beim Rückwärtsfahren nicht auf. Deshalb fährt er gegen den anderen Pkw und beschädigt diesen. Bisher haben die Versicherer hier häufig die Schuld geteilt und lediglich 50 % des Schadens reguliert. Die Versicherungen waren und sind auch heute noch fälschlicherweise der Auffassung, dass die Anscheinsvermutung bezüglich der Schuld an dem Unfall gleichermaßen beide Unfallbeteiligten trifft. Aufgrund eines Urteils des BGH aus dem Jahre 2016 hat sich diese Rechtsprechung nun geändert. Mit dem Verweis auf dieses Urteil gelang es RA Reissenberger vor dem LG Hagen, eine alleinige Verurteilung der gegnerischen Haftpflichtversicherung in Höhe von 100 % zu erreichen. Weitere Urteile zu Verkehrsunfällen bspw. wegen eines Kreuzungsräumers oder eines Unfalls mit Fahrerflucht finden Sie auch auf diesen Seiten. Thematisch ähnlich ist ein neueres Urteil des Landgerichts Dortmund zum Thema Fahrspurwechsel.

 

 

Rückwärtsfahren – das Urteil des LG Hagen:

9 O 39/17

Verkündet am 12.01.2018

…, Justizbeschäftigte

als Urkundsbeamtin der

Geschäftsstelle

 

Landgericht Hagen

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

 

 

In dem Rechtsstreit

der Frau … Schwerte,

Klägerin,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Reissenberger, Schwanenwall 8-10, 44135 Dortmund,

gegen

1. Herrn … Schwerte,

2. die … ,

Beklagten,

Prozessbevollmächtigte zu 1, 2: Rechtsanwälte … und Partner, … Dortmund,

hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen

im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 22.12.2017 am 12.01.2018 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht … als Einzelrichter für Recht erkannt:

1.

Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin 5.044,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus 2.930,76 € seit dem 24.03.2016 und hinsichtlich eines weiteren Teilbetrages von 2.113,40 € seit dem 20.08.2016 zu zahlen.

2.

Die Beklagten werden weiter verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 322,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seitdem 20.08.2016 zu zahlen.

3.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 6% und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 94%. …

 

 

Tatbestand (Rückwärtsfahren):

Die Klägerin nimmt die Beklagten aufgrund eines Verkehrsunfalls am 02.03.2016 in Schwerte auf Schadensersatz in Anspruch.

An diesem Unfall war sie als Eigentümerin und Fahrerin des Pkw Audi A 3, 1.6 TDI mit dem amtlichen Kennzeichen: UN-… und der Beklagte zu 1) als Fahrer eines Pkw VW Polo mit dem amtlichen Kennzeichen: UN‐… beteiligt, der bei dem Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist.

Die Klägerin stand mit ihrem Fahrzeug vor dem Gebäude Holzener Weg 39 in Schwerte. Der Beklagte zu 1) stand mit seinem Fahrzeug in einer Parkbox vor einem Bäckereibistro auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er setzte dann zurück, wobei er zum Teil auch in die Gegenfahrspur hineinfuhr. Auch die Klägerin setzte ihr Fahrzeug zurück.

Es kam dann zur Kollision zwischen den Fahrzeugen. Der Beklagte zu 1) fuhr dabei mit seinem Fahrzeug rückwärts und seitlich gegen das Fahrzeug der Klägerin.

 

(das streitige Vorbringen innerhalb des unstreitigen Sachverhalts – Rückwärtsfahren)

Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Klägerin vor der Kollision stand, um sodann ihre Fahrt auf der Fahrspur fortzusetzen oder ob diese sich ereignete, als sich beide Fahrzeuge in der Rückwärtsfahrt befanden. Unstreitig hatte die Klägerin jedenfalls vor der nachfolgenden Kollision noch gehupt, um auf sich aufmerksam zu machen.

 

(die unstreitige Chronologie – Rückwärtsfahren)

In einem Schreiben vom 02.03.2016 an die Klägerin wies der Beklagte zu 2) darauf hin, dass die Klägerin ein beiliegendes Infoblatt „Wichtige Hinweise zu Mietwagen und Sachverständigenkosten“ sorgfältig lesen solle. In diesem Merkblatt bot der Beklagte zu 2) ihre Hilfe bei der Reservierung eines Mietwagens an und nannte Tagespreise für die Anmietung von Ersatzfahrzeugen in verschiedenen Gruppen.

Gleichzeitig wurde auf Honorare hingewiesen, die von den Sachverständigen maximal gefordert werden könnten.

Die Klägerin beauftragte unter dem 10.03.2016 das Sachverständigenbüro … mit, der Erteilung eines Schadensgutachtens. Der Sachverständige … kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass Reparaturkosten i. H. v. 4.067,67 € netto entstanden seien. Weiterhin sei eine Wertminderung von 650,00 € anzunehmen. Die Nutzungsausfallentschädigung betrage entsprechend der Gruppe F 50,00 € bei 4 – 5 Arbeitstagen Reparaturdauer. Ihre Schadensersatzansprüche auf Erstattung der Sachverständigenkosten trat die Klägerin in Höhe des Bruttoendbetrages der Rechnung unwiderruflich erfüllungshalber an den Sachverständigen ab. Der Sachverständige stellte der Klägerin unter dem 11.03.2016 für die Sachverständigenkosten einen Betrag i H v. 700,99 € in Rechnung.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin forderte der Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 14.03.2016 zur Zahlung eines Betrages von insgesamt 5.443,66 € abzüglich der Gutachterkosten, die unmittelbar an den Sachverständigen gezahlt werden sollten, auf.

Der Beklagte zu 2) teilte daraufhin unter dem 20.03.2016 mit, dass ein Vorschuss i. H. v. 2.000,00 € geleistet werde und zahlte diesen Vorschuss im Anschluss auch.

 

(§ 9 Abs. 5 StVO – Rückwärtsfahren)

Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in einem weiterem Schreiben vom 20.03.2016 an den Beklagten zu 2) ausgeführt hatte, dass eine Zeugin den Unfall beobachtet habe und in einem weiteren Schreiben vom 31.03.2016 nähere Angaben zum Unfallhergang gemacht hatte, teilte der Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 12.04.2016 mit, dass beide Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren eine besondere Sorgfaltspflicht nach § 9 Abs. 5 StVO hätten und den Unfall zu gleichen Teilen verursacht hätten. Der Schaden werde zu 50 % reguliert. Die Beklagte leistete sodann noch einen weiteren Zahlungsbetrag i. H. v. 895,49 €.

 

(Nachkalkulation – Rückwärtsfahren)

Dem Schreiben war eine Nachkalkulation der … vom 16.03.2016 beigefügt, welche zu Reparaturkosten i H v. 3.649,80 € gelangte. Der Sachverständige … erstellte sodann unter dem 03.06.2016 ein 2. Nachtragsgutachten. In diesem kam er zu dem Ergebnis, dass Reparaturkosten in Höhe von netto 5.258,42 € – bei einem Bruttobetrag von 6.257,52 € – entstünden. Bei der Wertminderung und der Nutzungsausfallentschädigung gelangte er zu dem gleichen Ergebnis wie bei dem 1. Nachtragsgutachten. In den Bemerkungen auf Seite 3 des Gutachtens weist er darauf hin, dass eine vom Hersteller vorgesehene Schnittstelle für das Kniestück hinten direkt im Schadenbereich liege. Diese müsste höher angelegt werden, was von Seiten des Herstellers aber nicht freigegeben sei. Hierfür erstellte der Sachverständige … eine weitere Rechnung über 119,00 €.

Unter dem 16.06.2016 unterzeichnete die Klägerin ein Formular der Mietwagenfirma …, in welchem sie unter anderem erklärte, die Mietwagenkosten erfüllungshalber an den Vermieter abzutreten.

Die Klägerin ließ das Fahrzeug bei der … GmbH reparieren, welche unter dem 24.06.2016 eine Rechnung an die Klägerin ausstellte, die mit einem Betrag von 8.025,65 € brutto endete. in diesem Betrag waren Kosten für die Verbringung des Fahrzeuges zwecks Lackierung in Höhe von 141‚60 € enthalten.

In einem Abrechnungsschreiben vom 04.10.2016 gelangte der Beklagte zu 2) zu dem Ergebnis, dass bei dem Fahrzeug der Klägerin ein Gesamtschaden i. H. v. 9.850,33 € entstanden sei. Bei einer Quote von 50 % bestehe ein Anspruch von 4.925,17 € sowie ein Anspruch auf Zahlung von Anwaltsgebühren i H v. 564,66 €.

Die Mietwagenkosten könnten nur i. H. v. 522,00 € übernommen werden, die Klägerin sei mit Schreiben vom 03.03.2016 auf günstige Tarife hingewiesen worden, man wäre auch gerne bei der Anmietung eines Ersatzwagens behilflich gewesen.

 

(das klägerische Vorbringen – Rückwärtsfahren):

Die Klägerin behauptet, sie habe zwar vor der Kollision unter Beobachtung des fließenden Verkehrs zurückgesetzt, um ihre Fahrt nach vorne fortzusetzen. Sie sei dann jedoch zum Stillstand gekommen und habe den 1. Gang eingelegt. Sodann habe sie gesehen, wie das von dem Beklagten zu 1) gesteuerte Fahrzeug zurücksetzte und habe dann gehupt. Der Beklagte zu 1) habe aber nicht angehalten, so dass es zur Kollision gekommen sei.

 

(die einzelnen Argumente – Rückwärtsfahren)

Auf den von ihr als Anl. K 1 beigefügten Lichtbildern stehe ihr Fahrzeug noch so, wie es nach der Kollision gestanden habe. Auf den ersten 3 Bildern Anlage K 13 bis K 15 sehe man, dass sich die Klägerin auf der Straße befinde und nach vorne habe wegfahren wollen. Auf dem Bild K 15 erkenne man ferner die Bäckerei, aus der der Beklagte zu 1) zurückgesetzt habe. Darüber hinaus sehe man teilweise auch den noch am rechten Straßenrand stehenden Audi der Klägerin. Man sehe, dass sich das Fahrzeug nicht im Rückwärtsfahren befinde. Das Fahrzeug habe nahezu seitlich zum Beklagtenfahrzeug gestanden.

Der Beklagte zu 1) habe mit seinem Fahrzeug eine relativ große Fahrtstrecke vor der Kollision zurückgelegt.

Gegen sie spreche nicht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass diese beim Rückwärtsfahren ihrer besonderen Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen sei.

Sie habe gestanden, während der Beklagte zu 1) unstreitig rückwärtsgefahren sei. Nach dem Urteil des BGH vom 15.12.2016 ‐ Vll ZR 6/15 – sei in einem solchen Fall nicht mehr gegen beide Fahrer der Beweis des ersten Anscheins anzuwenden.

Es sei von einem Alleinverschulden des Beklagten zu 1) auszugehen: Er habe ohne zurückzuschauen nach hinten zurückgesetzt und sei auf die Gegenfahrbahn gefahren, auf der er nichts verloren gehabt habe. Weiterhin sei er mit dem Heck seitlich in den klägerischen PKW hineingefahren. Schließlich habe ihn selbst ihr Hupen nicht davon abgehalten gegen ihren PKW zu fahren.

 

(die einzelnen Schadenspositionen – Rückwärtsfahren)

Ihre Forderung beziffert die Klägerin wie folgt:

Reparaturkosten brutto: 8.025,65 €

Schadenspauschale: 25,00 €

Sachverständigenkosten gem. Rechnung vom 11.03.2016 700,99 €

Sachverständigenkosten gem. Rechnung vom 03.06.2016 119,00 €

Wertminderung 650,00 €

Mietwagenkosten … GmbH vom 25.07.2016 799 45 €

Rechnerisch 10.320,09 €

Geltend gemacht 10.300,09 €

abzgl. Zahlung v. 29.03.2016 -2.000,00 €

abzgl. Zahlung v. 15.04.2016 ‐512,90 €

Zwischensumme rechnerisch 7.787,19 €

(Zwischensumme geltend gemacht) (8.787,19 €)

abzgl. Zahlung v. 07.10.2016 (lt. Angabe im Termin am 05.) -1.800,77 €

rechnerisch 5.986 42 €

Sie führt sodann weiter aus, es seien insgesamt nur 4.125,16 € an materiellen Schadenspositionen beglichen worden, so dass eine Forderung von 5.374,93 € offen sei.

 

(die Anträge – Rückwärtsfahren):

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 5.374,93 € sowie 537,28 € jeweils nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20.03.2016 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

 

(das Beklagtenvorbringen – Rückwärtsfahren):

Die Beklagten behaupten, während des Rückwärtsfahrens des Beklagten zu 1) habe plötzlich auch die Klägerin mit ihrem Fahrzeug auf die Straße „Holzener Weg“ zurückgesetzt.

Sie habe mit ihrem Fahrzeug im Zeitpunkt der Kollision nicht gestanden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich ihr Fahrzeug noch in Schrägstellung befunden, während der Beklagte zu 1) schon weit ausgeparkt gehabt habe.

Die Klägerin habe auch gegenüber den den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten nicht erklärt, dass sie vor der Kollision gestanden habe. Die Beklagten bestreiten, dass die von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder die Endstellung der Fahrzeuge nach dem Unfall zeigten. Die Klägerin sei zurück in die von ihr zuvor genutzte Parklücke gefahren, bevor die Lichtbilder angefertigt worden seien.

Der Beklagte zu 1) habe sich vor dem Rückwärtsfahren zunächst mit Blick in den Rückspiegel und mit Schulterblick darüber vergewissert, dass sich hinter ihm kein Fahrzeug befunden habe und habe dann vorsichtig rückwärts zurückgesetzt. Auch während des Rückwärtsfahrens habe sich der Beklagte zu 1) noch vergewissert, dass sich auf der Straße „Holzener Weg“ keine Fahrzeuge näherten.

 

(Anwaltskosten, Verbringungskosten, Mietwagenkosten, fehlende Aktivlegitimation – Rückwärtsfahren)

Die Beklagten bestreiten, dass die Anwaltsrechnung bezahlt worden ist.

Es seien Verbringungskosten lediglich i. H. v. 80,00 € entstanden, und nicht wie geltend gemacht i. H. v. 141,60 €. 80,00 € entsprächen den üblichen Kosten für diese Position. Die Kosten für das Nachtragsgutachten seien nicht erstattungsfähig. Das Erstgutachten sei mangelhaft gewesen.

Es bestünde auch kein Anspruch auf Erstattung von weiteren Mietwagenkosten i. H. v. 779,45 €.

Die Klägerin sei nicht aktivlegitimlert, da diese Forderung am 16.06.2016 an das Mietwagenunternehmen abgetreten worden seien. Die Klägerin habe gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, da die Beklagte der Klägerin angeboten habe für Fahrzeuge der Fahrzeuggruppe 6 einen Mietwagen zu vermitteln, welcher mit einem Tagesnettopreis von 58,00 € dotiert hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Säch- und Streitstandes wird auf die überreichten Schriftsätze und die zu den Akten gelangten Unterlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … und durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen der Einzelheiten der. Zeugenvernehmung wird Bezug genommen auf das Protokoll des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 05.05.2017, Bl. 157 bis 158 d. A. Wegen der Einzelheiten des schriftlichen Sachverständigengutachtens wird auf dessen Ausfertigung Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe (Rückwärtsfahren):

Die Klage ist überwiegend begründet.

 

I. (Hauptforderung – Rückwärtsfahren):

Die Klägerin hat gegen den Beklagten zu 1) aus § 18 StVG und gegen den Beklagten zu 2) aus der vorgenannten Norm in Verbindung mit § 115 VVG einen Anspruch auf Zahlung von 5.044,16 €.

 

 

1. (zum Haftungsgrund – Rückwärtsfahren)

Bei der gem. § 17 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Schaden zu 100% von dem Beklagten zu 1) verursacht worden ist.

 

 

a)

Die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges war durch einen Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 9 Abs. 5 StVO erhöht.

Dafür, dass der Beklagte zu 1) die erforderliche Sorgfaltspflicht beim Rückwärtsfahren nicht eingehalten hat, sprechen bereits seine Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung. Der Beklagte zu 1) hat lediglich vermutet, dass die Klägerin aus ihrer Parklücke herausgefahren hat. Er hat diese hierbei nicht beobachtet. Während des Zurückstoßens hat der Rückwärtsfahrende aber sorgfältig darauf zu achten, dass kein anderer von der Seite oder von hinten in den Gefahrenraum gelangt (vgl. Burmann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 9 StVO Rn. 69). Dieser Verpflichtung kann der Beklagte zu 1) dann nicht nachgekommen sein.

Gegen den Beklagten zu 1) spricht aberjedenfalls der erste Anschein dafür, dass er bei dem Rückwärtsfahren nicht die sich aus § 9 Abs. 5 StVO besondere Sorgfaltspflicht eingehalten hat. insoweit ist nämlich unstreitig, dass er auch im Zeitpunkt der Kollision noch rückwärts fuhr. Dies ist ausreichende Voraussetzung für die Annahme des Beweises des ersten Anscheins für eine Verletzung der Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren.

Diesen Anscheinsbewéis hat der Beklagte zu 1) nicht widerlegt.

Weitere Umstände, die die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges erhöhen könnten, sind nicht ersichtlich.

 

 

b)

Die Betriebsgefahr des Fahrzeuges der Klägerin ist nicht erhöht.

Es liegt kein Verstoß der Klägerin gegen § 9 Abs. 5 StVO vor.

Aus den Angaben der Klägerin und der Aussage der Zeugin Kilimann ergibt sich nicht, dass die Klägerin beim Rückwärtsfahren gegen ihre Sorgfaltspflicht aus der vorgenannten Norm verstoßen hat.

Gegen die Klägerin spricht auch nicht der Beweis des ersten Anscheins für die Verletzung der Sorgfaltspflicht beim Rückwärtsfahren gem. § 9 Abs. 5 StVO.

Zwar fuhr die Klägerin rückwärts. Es steht aber zur sicheren Überzeugung des Gerichts nicht fest, dass das Fahrzeug der Klägerin auch im Zeitpunkt der Kollision noch fuhr und nicht bereits stand.

Die Aussage der Zeugin … ist auch für diese Frage unergiebig. Denn die Zeugin hat nur noch gesehen, wie die Fahrzeuge nach der Kollision dort standen. Sie hat die Fahrzeuge nicht in Bewegung gesehen.

 

(der Sachverständigenbeweis – Rückwärtsfahren)

Auch aus dem eingeholten Sachverständigenergibt sich nicht, dass das Fahrzeug der Klägerin noch in Bewegung war. Der Sachverständige vermochte zwar aus den Schadensbildern der beteiligten Fahrzeuge die Anstoßkonstellation zu ermitteln. Ferner konnte er auch festzustellen, dass das von dem Beklagten zu 1) gesteuerte Fahrzeug im Zeitpunkt der Kollision noch in Bewegung war. Problematisch ist nämlich, dass eine Eigenbewegung dieses Fahrzeuges nur die Streifbeschädigungen beeinflusst, nicht aber die Tiefe der Deformationen. Auch unter Berücksichtigung von Crash‑Versuchen vermochte der Sachverständige nicht aufzuklären, ob eine Stillstandposition oder eine Fahrbewegung des Fahrzeuges der Klägerin im Zeitpunkt der Kollision vorlag. Mit anderen Worten bleibt nach den Feststellungen des Sachverständigen möglich, dass das Fahrzeug der Klägerin im Zeitpunkt der Kollision stand.

Ein Anscheinsbeweis kann aber nur dann angenommen werden, wenn dessen Voraussetzungen zur sicheren Überzeugung des Gerichts feststehen.

Weitere Umstände, die die Betriebsgefahr des Fahrzeuges der Klägerin erhöhen könnten, sind nicht ersichtlich.

 

 

c)

Bei der gemäß § 17 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Schaden zu 100 % von den Beklagten zu tragen ist.

Bei der Klägerin war insoweit nur die allgemeine Betriebsgefahr zu berücksichtigen. Der Beklagte zu 1) hat hingegen aufgrund des Verstoßes gegen § 9 Abs. 5 StVO einen gewichtigen Verursachungsanteil beigetragen. Die allgemeine Betriebsgefahr des Fahrzeuges der Klägerin tritt aber hinter dem gewichtigen Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1) zurück.

 

 

2. (Rückwärtsfahren)

Der verbleibende Schaden bei der Klägerin beträgt 5.044,16 €.

 

a)

Hinsichtlich der Höhe des Anspruches der Klägerin sind zunächst die so genannten Verbringungskosten im Streit, soweit sie einen Betrag von 80,00 € zzgl. Umsatzsteuer übersteigen. Insoweit besteht kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Erstattung von weitergehenden Verbringungskosten. Denn sie hat nicht dargelegt und unter Beweis gestellt, dass höhere Verbringungskosten ortsüblich sind.

 

b)

Im Streit sind weiterhin noch die von der Klägerin geltend gemachten Mietwagenkosten soweit diese den bezahlten Betrag von 522,00 € übersteigen.

Auch insoweit besteht allerdings kein weitergehender Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten. Denn der Geschädigte kann nur Ersatz derjenigen Kosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten zum Ausgleich des Gebrauchsentzugs seines Fahrzeugs für erforderlich halten durfte (BGH, Urt. v. 27. 03.2012 ‐ VI ZR 40/10 ‐ NJW 2012, 2026, LS). Unter Beachtung dieses Grundsatzes hätte die Klägerin entweder auf das Angebot des Beklagten zu 2) zur Vermittlung eines preisgünstigen Mietwagens eingehen müssen oder aber sich bei anderen Mietwagenunternehmen nach dem günstigsten Preis für ein Mietfahrzeug erkundigen müssen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu einer solchen Erkundigung aufgrund besonderer Umstände (etwa Unfall zur Nachtzeit oder an einem Sonn- oder Feiertag) gehindert gewesen ist.

 

c)

Die Klägerin hat allerdings einen Anspruch auf Erstattung der noch streitigen Sachverständigenkosten. Grundsätzlich hat der Geschädigte nämlich auch einen Anspruch auf Erstattung der Kosten eines vorgerichtlichen Ergänzungsgutachtens. Dies ist dann der Fall, wenn der Schädiger oder die Haftpflichtversicherung gegen das von dem Geschädigten eingeholte Schadensgutachten technische Einwendungen erhebt (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 20.02.2015 ‐ 13 S 197/14 ‐ NJW-RR 2015, 721).

Die Beklagten können insoweit auch nicht mit dem Einwand durchdringen, bei dem Ergänzungsgutachten handele sich um eine Nacherfüllung durch den Sachverständigen, die kostenfrei erfolgen müsse. Insoweit kann offenbleiben, ob das zunächst zugrunde gelegte Schadensgutachten des von der Klägerin beauftragten Sachverständigen mangelhaft im Sinne des § 633 BGB war. Selbst wenn es mangelhaft gewesen sein sollte, hätte die Klägerin hieraus nur dann Rechte herleiten können, wenn für sie ein solcher Mangel überhaupt erkennbar gewesen war.

Dies war aber angesichts der in dem Gutachten behandelten technischen Fragestellungen überhaupt nicht möglich. So war sie überhaupt nicht in der Lage, eine Fristsetzung zur Nacherfüllung auszusprechen. Des Weiteren war nicht zu erkennen, dass die Vergütung des Sachverständigen für das weitere Nachtragsgutachten gar nicht geschuldet war. Es ist der Geschädigten deshalb auch nicht zumutbar, den Sachverständigen auf Rückzahlung der geforderten Vergütung zu verklagen.

 

d)

Zudem von der Beklagten zu 2) errechneten Schaden von 9.850,33 € sind nach den vorstehenden Ausführungen noch die Sachverständigenkosten von 119,00 € zu addieren. Ursprünglich bestand eine Forderung von 9.969,33 €. Von dieser ist ferner der aus dem Schreiben der Beklagten zu 2) vom 04.10.2016 (Anl. K 10) ersichtliche Zahlungsbetrag von 4.925,17 € abzuziehen. Es errechnet sich dann eine Forderung von 5.044,16 €.

Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 20.12.2016 einen Zahlungsbetrag von (nur) 4.125,16 € angibt, entspricht dieser Betrag nicht der eigenen Forderungsbezifferung.

Nur wenn -richtigerweise‐ eine Zahlung von 4.925,17 € (enthalten ist eine Zahlung von 522,00 € an die Firma … als Vermieterin) berücksichtigt, errechnet sich bei einem behaupteten Gesamtschaden von 10.300,09 € (vgl. Seite 1 unten des Schriftsatzes vom 20.12.2016) die geltend gemachte Forderung von 5.347,93 €.

 

II. (Anwaltskosten):

Der Beklagte zu 1) ist aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO, der Beklagte zu 2) aus der vorgenannten Vorschriften in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG auch verpflichtet, die vorgerichtlichen Anwaltskosten der Klägerin zu begleichen.

Insoweit ist allerdings eine über das 1,3-fache hinausgehende Gebühr nicht gerechtfertigt.

In Nr. 2300 W-RVG ist ein Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 vorgesehen. Bei der gem. § 14 RVG zu erfolgenden Bestimmung der konkreten Gebühr sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, zu berücksichtigen.

Zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Klägerin wurde nichts weiter vorgetragen. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass sie überdurchschnittlich sind.

Die Streitsache hat ebenfalls keine überdurchschnittliche Bedeutung für die Klägerin. Denn es geht lediglich um die Verursachung und die Regulierung des Schadens nach einem Verkehrsunfall. Dieser hat weder zu einem überdurchschnittlich hohen Schaden geführt noch zu einer Verletzung des Körpers bei einer der beteiligten Parteien.

Die Sache erscheint auch nicht überdurchschnittlich umfangreich oder schwierig. Zwar wurden mehrere Schadensgutachten erstellt. Andererseits handelte es sich aber um eine typische Unfallkonstellation, bei der keine schwierigen rechtlichen Fragen zu klären waren.

Es errechnet sich dann die folgende Gebühr:

Streitwert: 9.969,33 €

Geschäftsgebühr (1,3‐fach) 725,40 €

Pauschale 20‚00 €

Zwischensumme 745,40 €

Umsatzsteuer 141‚63 €

Forderung 887,03 €

Abzgl. Zahlung -564‚66 €

Forderung 322,37 €

 

 

III. (Zinsen – Rückwärtsfahren):

Aus den §§ 280 ff BGB ergibt sich der Anspruch auf Zahlung der Verzugszinsen sowohl hinsichtlich der Hauptforderung als auch hinsichtlich des Anspruchs auf Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten.

Lediglich der genannte Teilbetrag ist allerdings im Schreiben bzw. in der E-Mail vom 14.03.2016 (Anl. K3) angemahnt worden, der weitergehende Betrag erst mit Schreiben bzw. dem Fax vom 10.08.2016 (Anl. K 8) und zwar jeweils mit einer Frist von 10 Tagen.

Es ist nicht ersichtlich, dass bereits vor den genannten Zeitpunkten Verzug eingetreten ist.

 

 

IV. (Kostenentscheidung und Vollstreckung – Rückwärtsfahren):

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.