Fahrereigenschaft fehlerhaft – Allgemeines:
Ist die Fahrereigenschaft fehlerhaft vom Amtsgericht in seinem Urteil festgehalten worden, dann hebt das Oberlandesgericht das Urteil wieder auf.
Weil hier die Fahrereigenschaft fehlerhaft vom Amtsgericht Hattingen festgestellt worden ist, wurde das Urteil des Amtsgerichts Hagen mit dem Fahrverbot aufgehoben. Ähnliche Entscheidungen zur Fahrererkennbarkeit sowie zur Fahrzeugführereigenschaft sind hier bereits an anderer Stelle vorgestellt worden.
Hier finden Sie weitere von Rechtsanwalt Sven Reissenberger erwirkte Entscheidungen zu dem Thema Aufhebung eines Urteils mit Fahrverboten (1, 2, 3, 4, 5) durch das OLG Hamm.
Hier finden Sie eine weitere von den Rechtsanwälten Reissenberger erwirkte Entscheidung zu dem Thema Wiedererkennung des Fahrzeugführers bzw. Fahrers.
Wenn es um ein Fahrverbot geht, dann wird häufig die Fahrereigenschaft fehlerhaft durch das Gericht festgestellt, wenn die Fahrereigenschaft überhaupt belastbar festgestellt werden konnte.
Fahrereigenschaft fehlerhaft – der Beschluss:
OBERLANDESGERICHT HAMM
BESCHLUSS
5 R83 203/17 OLG Hamm
6 Ss OWi 1268/17 GStA Hamm
20 OWi – 36 Js 429/16 ‐ 95/16 AG Hattingen
Bußgeldsache
g e g e n …,
geboren am … in …,
wohnhaft … Iserlohn,
Verteidiger: Rechtsanwalt Sven Reissenberger, Schwanenwall 8-10, 44135 Dortmund,
w e g e n
Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde
des Betroffenen vom 31. August 2017
gegen das Urteil
des Amtsgerichts Hattingen vom 30. August 2017
hat der 5. Senat für Bußgeldsachen
des Oberlandesgerichts Hamm am 22. November 2017
durch den Richter am Amtsgericht … (als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs; 1 OWiG)
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers
b e s c h l o s s e n :
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Hattingen zurückverwiesen.
Gründe:
(Fahrereigenschaft fehlerhaft – die Beschlussbegründung):
I.
Fahrereigenschaft fehlerhaft – der Sachverhalt:
Das Amtsgericht Hattingen hat mit Urteil vom 30. August 2017 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 270,00 € verhängt. Es hat dem Betroffenen für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Hattingen befuhr der Betroffene am 10. November 2016 um 20:18 Uhr die Bundesautobahn A 46 in Sprockhövel, rechte Fahrspur, Autobahnkilometer 115,022 im Bereich des Autobahnkreuzes Wuppertal Nord in Fahrtrichtung Schwelm als Führer des PKW Mercedes Benz mit dem amtlichen Kennzeichen MK-… . Die Geschwindigkeit in diesem Bereich war auf höchstens 70 km/h reduziert.
(Fahrereigenschaft fehlerhaft – Messgerät Traffistar S 330):
Der Betroffene wurde mit einem Gerät des Typs Traffistar S 330 zur Tatzeit mit einer Geschwindigkeit von 105 km/h gemessen.
Nach Abzug des erforderlichen Sicherheitsabschlages von 4 km/h ergab sich eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 101 km/h. Zu Frage der Fahrereigenschaft hat das Amtsgericht Hattingen weiterhin ausgeführt:
(Fahrereigenschaft fehlerhaft – die unzureichenden Feststellungen des Amtsgerichts):
„Die Fahreigenschaften des Betroffenen steht jedoch fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Doktor … in der Abmahnung vom 05.10.2016, dass durch Verlesung in die Hauptverhandlung vom 30.08.2017 eingeführt wurde. Darin hat der Sachverständige ausgeführt, dass sich zwischen dem Messfoto und dem Betroffenen insgesamt 39 Merkmalsausprägungen vergleichen lassen, von denen einige recht individualtypisch sind. Hierzu zählen insbesondere die Gesichts-Bank vom, Wort im Mundregion, die auf regionaler dass er lange anliegende Ohr. Dann könne daher aufgrund des Grades an Übereinstimmungen oder der Merkmale als höchstwahrscheinlich angenommen werden, dass der Betroffene die auf dem Messfoto abgebildete Person ist.“
Der Betroffene hat am 31. August 2017 bei dem Amtsgericht Rechtsbeschwerde eingelegten.
Die Rechtsbeschwerde ist mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2017 begründet worden.
Der Betroffene hat sowohl die Sach‐ als auch die Verfahrensrüge erhoben.
Die Geschwindigkeitsmessung habe zu einem falschen Messergebnis geführt und nicht verwertet werden dürfen.
Darüber hinaus sei eine notwendige weitere Beweiserhebung unterlassen worden.
Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 12. Oktober 2017 Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Stellungnahme vom 09. November 2017 beantragt, wie erkannt.
II.
Fahrereigenschaft fehlerhaft – die rechtliche Bewertung:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig und hat auch in der Sache ‐ zumindest vorläufig ‐ Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 09. November 2017 wie folgt ausgeführt:
(Fahrereigenschaft fehlerhaft – die Kritik der Generalstaatsanwaltschaft an der Urteilsbegründung des Amtsgerichts):
„Diese Ausführungen genügen in mehrfacher Hinsicht nicht den an die Wiedergabe eines morphologischen bzw. anthropologischen Sachverständigengutachtens in Urteilen in Verfahren wegen (Verkehrs-) Ordnungswidrigkeit:
Falls sich das Gericht selbst zur Identifizierung des Angeklagten anhand eines Messfotos nicht in der Lage sieht, so kann es sich insbesondere der Hilfe eines anthropologischen Sachverständigen bedienen. Auch in einem solchen Fall müssen indes dem Sachverständigen überlassene Lichtbilder eine gewisse Qualität aufweisen. Denn sie sollen als Identifizierungsgrundlage dienen können. Deshalb unterliegt diese Frage der sachlich-rechtlichen Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht.
(Fahrereigenschaft fehlerhaft – das Amtsgerichts versäumt eine Verweisung gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf die Feststellungen des Sachverständigen):
Somit hätte sich das Amtsgericht zur Vereinfachung der Beschreibung des bei den Akten befindlichen Messfotos einer Verweisung gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO bedienen können.
(Fahrereigenschaft fehlerhaft – das Amtsgerichts versäumt eine ausführliche Beschreibung des Betroffenen):
Da es eine solche Verweisung unterlassen hat, wäre durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung des Messfotos, die sich insbesondere zur Bildqualität, zum Umfang der Abbildung der Person und zur Wiedergabe mehrerer Identifizierungsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenarten verhält, die abgebildete Person so präzise zu beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei der Betrachtung der Fotos die Prüfung ihrer Ergiebigkeit ermöglicht wird. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es allein um die Frage der Möglichkeit der Auswertung des Lichtbildes durch einen Sachverständigen geht (vgl. zum Ganzen: OLG Hamm, Beschluss vom 15.04.2008, 4 Ss 86/08, juris, mit zahlreichen weiteren Nachweisen);
Diesen Erfordernissen wird die angeführte Beweiswürdigung nicht gerecht, die keinerlei Beschreibung der Qualität des Messfotos und zur Sichtbarkeit der dort abgebildeten Person enthält. Zudem muss das Gericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen auch in einer für das Rechtsbeschwerdegericht auf Rechtsfehler nachprüfbaren Weise darlegen.
Dazu ist in den Urteilsgründen eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zu Grunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich.
Auch insoweit genügt das angefochtene Urteil nicht den sachlich-rechtlichen Anforderungen.
(Fahrereigenschaft fehlerhaft – das Amtsgerichts hatte bei der Abfassung des Urteils technische Probleme):
Offenbar aufgrund von technischen Schwierigkeiten bei der Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe bleiben die insoweit zugrunde liegenden Ausführungen zu den übereinstimmenden körperlichen Merkmalen im Wesentlichen unverständlich. Überdies wird insbesondere nicht genügend deutlich, welche charakteristischen Eigenarten die nur zu erahnenden Identifizierungsmerkmale (Gesicht, Mundregion, Ohr) aufweisen sollen.
Soweit schließlich den Urteilsausführungen zumindest das Ergebnis des Sachverständigengutachtens noch mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden kann (wonach eine Übereinstimmung „höchstwahrscheinlich“ ist), genügt dies zur Darlegung der Grundlagen der Überzeugungsbildung nicht.
Die Mitteilung allein des Ergebnisses könnte – je nach Lage des Einzelfalles – allenfalls dann ausreichen, wenn der Sachverständige bei der Begutachtung ein weithin standardisiertes Verfahren angewendet hat, es sich um einen erfahrenen Sachverständigen handelt und von keiner Seite Einwände gegen die der Begutachtung zu Grunde liegende Tatsachengrundlage und die Zuverlässigkeit der Begutachtung selbst erhoben werden.
Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor.
Es lässt sich dem Urteil bereits nicht entnehmen, ob die Begutachtung auf der Grundlage eines standardisierten Verfahrens erfolgt ist. Dies dürfte bei einem anthropologischen Vergleichsverfahren allerdings auszuschließen sein.“
(Fahrereigenschaft fehlerhaft – das OLG Hamm teilt die Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft):
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie deshalb zum Gegenstand seiner Entscheidung.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Hattingen zurückzuverweisen.
…