Trunkenheitsfahrt
Thema ist hier eine Trunkenheitsfahrt eines Mandanten nach § 316 BGB.
Es handelt sich um einen von RA Reissenberger erwirkten Beschluss des OLG Hamm, wonach ein Berufungsurteil des LG Dortmund aufzuheben war, weil das Landgericht und vor ihm schon das Amtsgericht versäumten, bei der Verurteilung des Angeklagten wegen einer Trunkenheitsfahrt gem. § 316 Abs. 1 StGB zugunsten des Angeklagten von einer verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB auszugehen und insoweit die Strafe zu mildern. Das Interessante des Falles ist darin zu sehen, dass in diesem Alltagsgeschäft einer Trunkenheitsfahrt dem Mandanten zumindest vorübergehend eine Verurteilung erspart bleiben kann, weil die Gerichte häufig die Trunkenheitsfahrt und die mit ihr in Zusammenhang stehende Strafzumessung übersehen oder verkennen.
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss
Az.: III- 1RVs 44/11 OLG Hamm
39 Ns 118/10 LG Dortmund
Strafsache
gegen …..
wegen Trunkenheit im Straßenverkehr
Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 12.04.2011 gegen den Protokollberichtigungsbeschluss der 38. kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 30.03.2011 und die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 38. kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 11.01.2011 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28.07.2011 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Raberg,
den Richter am Oberlandesgericht Kabuth und
den Richter am Oberlandesgericht Burges
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:
- Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
- Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückgewiesen.
Gründe:
1.
Mit Urteil vom 04.10.2010 hat das Amtsgericht Dortmund den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt und eine Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr verhängt. Die hiergegen eingelegte – auf den Rechtsfolgeausspruch beschränkte – Berufung hat das Landgericht Dortmund mit Urteil vom 11.01.2011 mit der Maßgabe verworfen, dass die Verwaltungsbehörde angewiesen wird, dem Angeklagten vor Ablauf von sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen hat der Angeklagte rechtzeitig unter dem 18.01.2011 Revision eingelegt.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 27.02.2010 mit einer nach der um 4:35 Uhr erfolgten Blutentnahme festgestellten BAK von 1,82 % im öffentlichen Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug geführt hatte.
In den Urteilsgründen heißt es zum Rechtsfolgenausspruch wie folgt:
„Der Angeklagte handelte rechtswidrig und schulhaft. (…). Die Kammer hat den Strafrahmen des § 316 Abs. 1 StGB zu Grunde gelegt. Bei Bildung der Strafe hat die Kammer alle für und gegen den Angeklagten wirkenden Umstände gegeneinander abgewogen. Zu Gunsten des Angeklagten wurden dabei insbesondere folgende Umstände berücksichtigt: Er hat ein von Reue und Einsicht getragenes Geständnis abgelegt und in der Berufungsinstanz das Rechtsmittel auf die Überprüfung der Rechtsfolge beschränkt. Er ist, bezogen auf Straßenverkehrsdelikte, bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Nach dem Verkehrszentralregister ist er lediglich wegen einmaliger Geschwindigkeitsüberschreitung aufgefallen. Da die Tatbegehung in die Nacht fiel, war aufgrund des geringen Verkehrsaufkommens das Risiko einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer verhältnismäßig gering.
Zu Lasten des Angeklagten wirken sich folgende Umstände aus:
Er ist bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten, wenngleich die Straftaten auf anderem Gebiet lagen. Die Tatbegehung basierte auf einem nichtigen Anlass. Der Angeklagte hätte ohne weiteres seine Tochter veranlassen können, ein Taxi zu nehmen. Die Fahrt erstreckte sich über mehrere Kilometer, die Alkoholisierung des Angeklagten lag deutlich über der Grenze zu absoluten Fahruntüchtigkeit.
Nach alldem hat de Kammer die bereits von dem Amtsgericht ausgeworfene Geldstrafe von 50 Tagessätzen für angemessen gehalten und auf diese Strafe erkannt. Die Höhe des Tagessatzes wurde entsprechend den Einkommensverhältnissen des Angeklagten auf 10,00 € festgesetzt. (… es folgen Ausführungen zu den §§ 69, 69 a StGB)“.
In dem Hauptverhandlungsprotokoll des Landgerichts vom 11.01.2011 heißt es zur Frage der Berufungsbeschränkung: „Der Vorsitzende stellte fest, dass die Berufung des Angeklagten rechtzeitig ist und unwirksam auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt wurde.“
Nachdem der Angeklagte rechtzeitig mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14.03.2011 die Revision begründet hatte und – neben der Erhebung formeller und materieller Rügen – u. a. moniert hatte, dass die Strafkammer in ihrem Urteil zu Unrecht einer Berufungsbeschränkung ausgegangen sei, da sie in dem Protokoll selbst die Unwirksamkeit der Beschränkung festgestellt hatte, hat der Vorsitzende der Strafkammer mit Beschluss vom 30.03.2011 das Hauptverhandlungsprotokoll wegen eines offensichtlichen Schreibversehens dahin berichtig, dass es heißen müsse „(…) und wirksam auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt wurde“.
Hiergegen hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 12.04.2011 Beschwerde eingelegt, mit der Begründung, dass das fertiggestellte Protokoll nach Eingang der Revision nicht mehr hätte verändert werden dürfen.
2.
Die Beschwerde des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Auf die Revision des Angeklagten war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen.
1.) Beschwerde
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu der Beschwerde in ihrer Stellungnahme vom 07.07.2011 ausgeführt:
„Soweit es die Beschwerde gegen die Protokollberichtigung angeht, ist diese zulässig. Denn gem. § 304 Abs. 1 StPO ist die Beschwerde gegen die Protokollberichtigung statthaft (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. § 272 Rn. 28). Sie ist jedoch unbegründet. Denn mit der Beschwerde kann eine inhaltliche Änderung des Protokolls nicht verlangt werden, weil es dem Beschwerdegericht nicht möglich ist, die Richtung der beurkundeten Vorgänge zu prüfen (Meyer-Goßner, a. a. O., § 272 Rn. 29).“
Diese Ausführungen tritt der Senat bei und legt sie seiner Entscheidung zugrunde.
2.) Revision
Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen. Die auf die Sachrüge von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung, ob die Strafkammer zu recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist, ergibt, dass die Urteilsfeststellungen die Verurteilung des Angeklagten fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB tragen; die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils zur Tat bieten eine hinreichende Grundlage für die Nachprüfung der Rechtsfolgenentscheidung.
Der Rechtsfolgenausspruch hält indes der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht Stand.
Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters.
Das Revisionsgericht kann im Allgemeinen nur eingreifen, wenn die Erwägung, mit denen der Tatrichter Strafart und Strafmaß begründet hat, in sich rechtsfehlerhaft sind, wenn er rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht lässt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 24, 132).
Auch begründen die Strafzumessungserwägungen dann die Revision, wenn von einem falschen Strafrahmen ausgegangen wird oder die für das Strafmaß materiell-rechtlich maßgeblichen Leitgesichtspunkte (§ 46 StGB) nicht richtig gesehen oder nicht zugrunde gelegt worden sind.
So liegt der Fall hier, denn die Kammer hat sich mit der sich aufdrängenden Möglichkeit einer Strafminderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB im Hinblick auf eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht auseinandergesetzt.
Nach den Urteilsfeststellungen ergab eine dem Angeklagten um 4:35 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,82 %. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit ergibt sich hingegen aus den Urteilsgründen nicht.
Aus den ergänzenden Feststellungen der Strafkammer ergibt sich jedoch, dass der Angeklagte, der bis dahin mit einem Freund dem Alkohol zugesprochen hatte, den Anruf seiner Tochter gegen 1:30 Uhr erhielt und gegen 2:50 Uhr von der Polizei angehalten worden war.
Bereits die Höhe der 1 3/4 Stunden nach der Tat festgestellten Blutalkoholkonzentration hätte für die Kammer Anlass sein müssen, die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB zu erörtern und die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit durch Rückrechnung festzustellen.
Unter Zugrundelegung der nach der Rechtsprechung anerkannten Rückrechnungsregeln ist zur Prüfung der Schuldfähigkeit des Täters von einem maximalen Abbauwert auszugehen, der sich aus einem stündlichen Abbauwert von 0,2 o/oo und einem einmaligen Sicherheitszuschlag von 0,2 o/oo ergibt (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., Rdnr. 13 § 20 m. w. N.).
Zugunsten des Angeklagten ist angesichts eines Zeitraumes von 1 3/4 Stunden zwischen dem Anhalten durch die Polizei und der Blutentnahme von einer Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,3 o/oo auszugehen. Legt man das Trinkende zugrunde, ergibt sich sogar ein Blutalkoholkonzentration während der Fahrt von rund 2,62 o/oo. Ab Blutalkoholkonzentrationswerten von 2,00 o/oo ist aber in den Urteilsgründen die Frage der verminderten Schuldfähigkeit stets zu erörtern (vgl. BGH NStZ 1997, 383). Zwar ist zu berücksichtigen, dass die mildernde Wirkung einer verminderten Schuldfähigkeit durch die – ebenfalls alkoholbedingte – erhöhte objektive Gefährlichkeit der Trunkenheitsfahrt kompensiert werden mag, jedoch lässt sich zugunsten des Angeklagten letztlich nicht ausschließen , dass die Strafkammer bei erschöpfender und fehlerfreier Abwägung der Vorraussetzungen und Anwendung der§§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu einer milderen Strafe gefunden hätte, wofür spricht, dass die Strafkammer in ihren Strafzumessungserwägungen ausdrücklich zu Gunsten des Angeklagten von einer der Nachtzeit geschuldeten geringen Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer ausgegangen sind.
Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Strafmessung führt bereits auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch – wegen des inneren Zusammenhanges des Strafausspruchs im engeren Sinne auch hinsichtlich der Entscheidung nach § 69a StGB – und zur Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben wird. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass auch dann, wenn die Strafkammer zu der Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten kommen, dies nicht grundsätzlich Auswirkungen auf den Entzug der Fahrerlaubnis und die Verhängung der Fahrerlaubnissperre haben muss (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.12.1999 – 2b Ss 191/99 – 74/99)
Raberg; Kabuth; Burges