Fahrraddiebstahl:
Ein Fahrraddiebstahl ist ein häufiges Alltagsereignis. Ich berichte insoweit von einem aktuellen Urteil des Amtsgerichts Dortmund aus dem Bereich des Versicherungsrechts im Bereich der Hausratversicherung. Die Hausratversicherung weigerte sich, den an sich versicherten Fahrraddiebstahl zu regulieren, weil sie der Meinung war, der Versicherungsnehmer habe gegen seine Pflichten aus dem Vertrag verstoßen.
Fahrraddiebstahl – zu der Besonderheit dieses Falles:
Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass der Fahrraddiebstahl vom Versicherungsnehmer überhaupt erst dadurch ermöglicht wurde, dass er sein Fahrrad nicht ordnungsgemäß mit einem Schloss oder einer Kette gesichert hatte. Damit verstieß er gegen die eindeutigen Vorgaben aus dem Vertrag, denn dort stand sinngemäß, dass Versicherungsschutz gegen einen Fahrraddiebstahl nur dann besteht, wenn das Fahrrad verschlossen war. Es fragte sich nun, ob der Kläger trotzdem die Erstattung des Fahrrads von der Versicherung verlangen konnte? Das Amtsgericht bejahte diese Frage und schloss sich dem Vorbringen des Rechtsanwalts Reissenberger zum Fahrraddiebstahl an.
Fahrraddiebstahl -„Zum Urteil des AG Dortmund 421 C 6157/20 vom 12.05.2021“:
Im nachstehenden Urteil hat das Amtsgericht Dortmund zu einem Fahrraddiebstahl im Einzelnen sehr schön hergeleitet, weshalb die Versicherung trotz eines fahrlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers bei der Sicherung des wertvollen Fahrrades, eines Rennrads im Werte von 4.700,00 €, gleichwohl zur Deckung und Zahlung verpflichtet ist.
Das Urteil des AG Dortmund:
421 C 6157/20
Verkündet am 12.05.2021
Amtsgericht Dortmund
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn … Dortmund
Klägers,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Reissenberger, Schwanenwall 8 – 10, 44135 Dortmund
gegen
… Versicherung AG, … Düsseldorf,
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … Köln,
hat das Amtsgericht Dortmund
auf die mündliche Verhandlung vom 21.04.2021 durch die Richterin am Amtsgericht …
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.700,00 EUR (in Worten: viertausendsiebenhundert Euro) sowie weitere 150,0 EUR jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.11.2020 zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Rechtsanwaltes Reissenberger, Schwanenwall 8-10, 44135 Dortmund gemäß Rechnungsnr. 2005826465 vom 21.08.2020 in Höhe von 505,86 EUR freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden/zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand (Fahrraddiebstahl):
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem zwischen ihnen zur Versicherungsnummer SV070171047 bestehenden Hausratsversicherungsvertrag nach behauptetem Einbruchdiebstahl.
(unstreitiges Vorbringen der Parteien):
Der Kläger ist Eigentümer eines im Jahr 2003 zum Preis von 4.700,00 € erworbenen Rennrads „Stork, Szenario Pro“, welches vor dem 09.06.2020 – entgegen üblicher Gewohnheit, das Fahrrad mit dem Elektronikfahrrad seiner Ehefrau durch ein ABUS- Sicherheitsschloss zu verbinden bzw. zu verschließen – unverschlossen in der Doppelgarage des klägerischen Wohnhauses abgestellt war.
(Die relevanten Versicherungsbedingungen – Fahrraddiebstahl):
Bestandteil des Versicherungsvertrags sind die Versicherungsbedingungen KT2017HR.
Dort heißt es unter Ziffer 4.7 wie folgt:
„Ein besonderer Vorsorgeschutz gilt für Fahrräder oder nicht versicherungspflichtige Elektrofahrräder, die nach Beginn dieser Versicherung neu angeschafft wurden. Diese Fahrräder sind ab der Anschaffung gegen Diebstahl bis zu 500 Euro versichert. Der Versicherungsschutz besteht dann, wenn die Fahrräder oder Elektrofahrräder zum Zeitpunkt des Diebstahls durch ein Schloss gesichert sind. […]
Unabhängig von der Vorsorge für neu angeschaffte Fahrräder ist der Diebstahl von bereits vorhandenen Fahrrädern oder nicht versicherungspflichtigen Elektrorädern bis zu 1.000 Euro je Versicherungsfall mit eingeschlossen. Der Versicherungsschutz besteht dann, wenn die Fahrräder oder Elektrofahrräder zum Zeitpunkt des Diebstahls durch ein Schloss gesichert sind. […].“
Die Parteien einigten sich zudem durch individuelle Vereinbarungen darauf, dass die Beklagte auf die Einrede der groben Fahrlässigkeit verzichtet und eine Deckungszusage für Schäden bis zu 8.000,00 € erteilt.
Am 10.06.2020 erstattete der Kläger bei der Polizei Dortmund Strafanzeige wegen Rennraddiebstahls. Auf seine entsprechende Schadenmeldung lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 24.06.2020 unter Hinweis darauf, dass Versicherungsschutz nur bestehe, sofern das Fahrrad zum Zeitpunkt des Diebstahls verschlossen gewesen sei, eine Regulierung ebenso ab, wie auf das Zahlungsaufforderungsschreiben des jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 21.08.2020, mit welchem dieser auch Ausgleich der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i. H. v. 655,86 € nach Maßgabe einer 1,3 Geschäftsgebühr auf einen Streitwert von 4.700,00 € einforderte. Die Gebührenforderung seines Prozessbevollmächtigten glich der Kläger zwischenzeitlich i. H. v. 150,00 € aus.
(streitiges Vorbringen des Klägers zum Fahrraddiebstahl):
Der Kläger behauptet, das unverschlossene Rennrad sei am 09.06.2020 in der Zeit zwischen 17:35 Uhr und 20:30 Uhr aus der Garage entwendet worden. Er habe an diesem Tag den PKW seiner Ehefrau gegen 17:35 Uhr aus der Garage gefahren und im Anschluss hieran versäumt, auf ein ordnungsgemäßes Schließen des per Funk zu bedienenden elektrischen Garagentores zu achten. Mutmaßlich wegen Batterieschwäche des Funkbedieners habe das Garagentor nicht geschlossen; bei Rückkehr gegen 20:30 Uhr habe es jedenfalls ohne jegliche Einbruchsspuren – offen gestanden und das Rennrad sei nicht mehr vorhanden gewesen.
Nach Auffassung des Klägers handelt es sich bei der vorzitierten Klausel in der Hausratsversicherung, nach welcher Versicherungsschutz dann besteht,
„wenn Fahrräder oder Elektrofahrräder zum Zeitpunkt des Diebstahls durch ein Schloss gesichert sind“,
um eine (verhüllte) Obliegenheit und daher keine objektive Risikobegrenzung.
(die Anträge der Parteien):
Der Kläger beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 4.700,00 € sowie weitere 150,00 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz Rechtshängigkeit zu zahlen.
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von Gebührenansprüchen des Rechtsanwalts Reissenberger, Schwanenwall 8-10, 44135 Dortmund, gemäß der Anwaltsrechnung Nr.: 200526462 vom 21.08.2020 in Höhe von 505,86 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
(streitiges Vorbringen der Beklagten):
Sie bestreitet das Bestehen eines Versicherungsfalles; die verwendete Klausel begründe eine Begrenzung des Versicherungsschutzes.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … zur Entwendung des Rennrades „Storck, Szenario Pro“. Bzgl. des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 21.04.2021 (Bl. 134 – 136 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe (Fahrraddiebstahl):
Die zulässige Klage ist begründet.
(die Begründung der Hauptforderung):
Es besteht ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von 4.700,00 ¬ aus dem zwischen den Parteien bestehenden Hausratsversicherungsvertrag.
Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist das äußere Erscheinungsbild eines Einbruchsdiebstahls zur Überzeugung des Gerichts bewiesen.
Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung habe sich das Fahrrad nach Rückkehr am 09.06.2020 gegen 20:30 Uhr nicht mehr an seinem vorherigen Abstellort in der Garage befunden, das Garagentor habe offen gestanden, ohne Einbruchsspuren aufzuweisen.
Die Zeugin schilderte zunächst in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers die „Parksituation“ der verschiedenen in der Garage hinter ihrem PKW abgestellten Zweiräder, ferner den Umstand, dass das klägerische Rennrad bei ihrer Rückkehr gegen 20:30 Uhr nicht mehr vorhanden gewesen sei.
…
Sowohl am Garagentor, als auch an den Schlössern der anderen Zweiräder habe die Zeugin bei der Rückkehr keine Einbruchsspuren feststellen können. Sie habe das Rad des Klägers am 09.06.2020 selbst nicht gesehen. Sie gehe davon aus, dass sie das Rad zuletzt am 08.06.2020 gesehen habe. Sie fahre täglich mit ihrem Fahrzeug und müsse für die tiefergelegene Garage rückwärts einparken. Dazu nutze sie die Rückfahrkamera ihres Fahrzeugs. Durch diese sehe sie dann immer die drei hintereinander geparkten Zweiräder. Fehle eines davon, falle ihr das sofort auf. Das Rennrad des Klägers sei extra für ihn angefertigt worden und habe eine sehr auffällige Lackierung gehabt.
Das Gericht hat bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigt, dass es sich bei der Zeugin … um die Ehefrau des Klägers handelt. Allein dieser Umstand vermag nach ständiger Rechtsprechung aber nicht deren Glaubwürdigkeit als Zeugin zu erschüttern. Die Angaben der Zeugin sind in sich schlüssig, frei von Widersprüchen und detailreich. …
(„verhüllte Obliegenheit“ – Fahrraddiebstahl):
Der Versicherungsschutz ist auch nicht durch die von der Beklagten verwendete Klausel begrenzt; bei dieser handelt es sich vielmehr um eine sog. (verhüllte) Obliegenheit, gegen welche der Kläger jedenfalls nicht vorsätzlich, sondern maximal grob fahrlässig verstoßen hat mit der Folge, dass die Beklagte unter Berücksichtigung ihres Verzichts auf den Einwand grober Fahrlässigkeit zur Leistung verpflichtet bleibt.
(Bezugnahme auf das maßgebliche Urteil des BGH):
Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 18.06.2008 – IV ZR 87/07 – gilt hierzu Folgendes:
„[…] Für die Abgrenzung einer (verhüllten) Obliegenheit von einer Risikobegrenzung sind nicht allein Wortlaut und Stellung der Klausel innerhalb eines Bedingungswerkes maßgeblich. Entscheidend ist der materielle Gehalt der Klausel. Es kommt darauf an, ob sie die individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das der Versicherer keinen Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Wird von vornherein nur ausschnittweise Deckung gewährt, handelt es sich um eine Risikobeschränkung; wird dagegen ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers wieder entzogen, liegt eine Obliegenheit vor. […]. “
(die konkrete Auslegung des Amtsgerichts Abgrenzung „verhüllte Obliegenheit und Risikobegrenzung):
Für die vorzunehmende Auslegung von Ziffer 4.7 kommt es demnach darauf an, wie die Klausel von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstanden werden kann. Maßgebend dabei sind vor allem der Wortlaut und der Sinn und Zweck der Klausel. Unter 4.7 der KT2017HR wird für den Versicherungsnehmer deutlich, dass bei einem Fahrraddiebstahl grundsätzlich umfassender Versicherungsschutz gewährt werden soll.
Ziffer 4.7 verlangt für den vereinbarten Versicherungsschutz, dass das Fahrrad zur Zeit des Diebstahls durch ein Schloss gesichert war. Dem Versicherungsnehmer wird dadurch ein bestimmtes Verhalten auferlegt, von welchem die Gewährung von Versicherungsschutz abhängig gemacht wird. Die Gewährung hängt somit allein von der Sorgfalt bzw. Nachlässigkeit des Versicherungsnehmers ab.
Eine Risikobegrenzung knüpft hingegen nicht an ein Verhalten des Versicherungsnehmers an. Vielmehr liegt eine Risikobegrenzung bei Klauseln vor, die von vornherein in bestimmten Situationen -z. B. zu bestimmten Tageszeiten- einen Versicherungsschutz ablehnen, ohne, dass der Versicherungsnehmer darauf Einfluss hätte. Bei der vorliegenden Klausel geht es nicht um eine von vornherein normierte Ausnahme vom Versicherungsschutz, sondern darum, ob durch die Nachlässigkeit des Versicherungsnehmers der Verlust des Versicherungsschutzes erfolgt.
(die Begründung der Nebenforderung):
Der Kläger hat ferner gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der im Zusammenhang mit der Regulierung des Versicherungsfalls entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 150,00 €, die der Kläger bereits an seinen Prozessbevollmächtigten ausgezahlt hatte. Die Beklagte befand sich im August 2020 zum Zeitpunkt des Tätigwerdens klägerischen Prozessbevollmächtigten in Regulierungsverzug.
Dem Kläger steht zudem ein Freistellungsanspruch gegen die Beklagte in Höhe von 505,86 € gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 249 Abs. 2 S. 1 BGB zu. Der Kläger hat bislang 150,00 € der insgesamt 655,86 € an seinen Prozessbevollmächtigten ausgeglichen. Von der weiteren Forderung in Höhe von 505,86 € muss ihn die Beklagte aufgrund des oben dargelegten Verzuges freistellen.
…