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Beschaffenheitsvereinbarung, Urteil LG Bochum

Beschaffenheitsvereinbarung:

Die Beschaffenheitsvereinbarung betrifft das Wesen des Vertragsrechts.

Die Bedeutung des Mangels und der Beschaffenheitsvereinbarung im § 434 BGB:

Die Beschaffenheitsvereinbarung ist von überragender Bedeutung für das Vertragsrecht und wird sowohl von Anwälten aber auch von Gerichten gerade im Zusammenhang mit dem Gewährleistungsausschluss bei der Sachmängelhaftung häufig verkannt, so dass dieses hier veröffentlichte Urteil dazu genutzt wird, diesen wesentlichen Aspekt einmal darzustellen und aufzuarbeiten:

Beschaffenheitsvereinbarung im § 434 BGB:

§ 434 BGB Sachmangel

(1) Satz 1: Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat.

Satz 2:

Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln,

  1. wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, sonst
  2. wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwartenkann.

Satz 3:

Zu der Beschaffenheit nach Satz 2 Nr. 2 gehören auch Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers (§ 4 Abs. 1 und 2 des Produkthaftungsgesetzes) oder seines Gehilfen insbesondere in der Werbung oder bei der Kennzeichnung über bestimmte Eigenschaften der Sache erwarten kann, es sei denn, dass der Verkäufer die Äußerung nicht kannte und auch nicht kennen musste, dass sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in gleichwertiger Weise berichtigt war oder dass sie die Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte

… ”

 

Allgemeines Verhältnis Beschaffenheitsvereinbarung bzw.-angabe zum Gewährleistungsausschluss:

Haben die Parteien bspw. eines Kaufvertrages eine Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 getroffen und einen Gewährleistungsausschluss vereinbart, hat dies zur Folge, dass der Gewährleistungsausschluss nicht für das Fehlen der Beschaffenheitsvereinbarung sondern nur für Mängel gilt, die darin bestehen, dass die Sache sich nicht für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1) b. z. w. für die gewöhnliche Verwendung eignet und keine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2), so auch BGH, NJW 2007, 1346, 1349).

Konkretes Beispiel zur Beschaffenheitsvereinbarung und zum Gewährleistungsausschluss:

Die Bezeichnung eines Pkw als „Jahreswagen“ stellt eine Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Ein Jahreswagen ist demnach ein Gebrauchtfahrzeug, das von einem Werksangehörigen ein Jahr lang ab der Erstzulassung gefahren worden ist. Bei der Bezeichnung eines Gebrauchtwagens als Jahreswagen kann der Käufer erwarten, dass der verkaufte Pkw bis zum Zeitpunkt seiner Erstzulassung eine Standzeit von nicht mehr als zwölf Monaten aufweist, da die vor der Erstzulassung liegende Standdauer einen wertbildenden Faktor darstellt. Der Käufer, der einen Jahreswagen kauft, hat die Erwartung, einen „jungen“ Gebrauchtwagen aus erster Hand zu erwerben, der sich von einem Neuwagen lediglich durch seine einjährige Nutzung unterscheidet (BGH NJW 2006, 2694, 2695). Ist der Pkw nun älter als ein Jahr und der Pkw unter einem wirksamen Gewährleistungsausschluss veräußert worden, so bezieht sich der Gewährleistungsausschluss zwar auf alle Mängel, mithin auch auf die Beschaffenheitsvereinbarung „Jahreswagen“. Da aber gleichzeitig neben der Mangeleigenschaft auch die Vereinbarung der kokreten Beschaffenheit verletzt worden ist, greift der Gewährleistungsausschluss hier nicht ein. Es ist daher stets vor der Prüfung der Mangelhaftigkeit zuerst immer zu prüfen, was überhaupt vereinbart wurde, d. h. welche Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB getroffen und ob diese eingehalten wurde.

 

Zum Tatbestand des Urteils des LG Bochum zur Beschaffenheitsvereinbarung:

Der Beklagte und Mandant, ein Optiker, hatte eine selbsttönende Brille nach mehreren Anpassungen an die Klägerin veräußert. Die Klägerin arbeitete in einem Autohaus und wollte, dass Kunden bei Gesprächen im Autohaus und am Rechner ihre Augen sehen können, so dass dann keine Abdunklung eintritt. Draußen, im Pkw und vor den großen lichtdurchlässigen Fenstern im Autohaus sollte die Brille je nach Lichteinfall abdunkeln. Für längere Fahrten im Auto wurde erwogen, zusätzlich eine noch stärker abdunkelnde Sonnenbrille zu erwerben. Die Klägerin wollte nach wenigen Wochen die Brille nicht mehr und meinte, diese sei mangelhaft. Der Beklagte und Mandant bestritt dies und behauptete, er habe nach 5 Anpassungen alles genauso hergestellt, wie es die Klägerin wollte. Er habe die vereinbarte Beschaffenheit der Brille hergestellt und für eine Extremsonneneinstrahlung eine Sonnenbrille angeboten, da die stark tönende Brille naturgemäß nicht so stark verdunkle wie eine reine Sonnenbrille.

Das Amtsgericht hat den Sachverhalt und die Rechtslage missverstanden, ein Sachverständigengutachten eingeholt, das zu dem Ergebnis kam, dass die Klägerin keinen Sehfehler habe, die Brille insoweit mangelhaft sei und ihre Verdunklungfähigkeit hinter einer Sonnenbrille zurückstehe. Das Amtsgericht hat der Klägerin Recht gegeben und den beklagten Optiker verurteilt.

RA Reissenberger hatte Berufung für den Optiker eingelegt und darauf hingewiesen, dass das Urteil falsch ist und das Amtsgericht nicht einmal die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung herausgearbeitet habe.

Das Landgericht folgte dem.

 

Zum Urteil des LG Bochum zur Beschaffenheitsvereinbarung:

Beglaubigte Abschrift

(Telekomgemäß § 169 Abs. 3 ZPO)

I- 11 S 226/15

Verkündet am 07.06.2016

57 C 163/13

Amtsgericht Recklinghausen

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Landgericht Bochum

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

des Herrn … Recklinghausen,

Beklagten und Berufungsklägers,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Reissenberger, Ostenhellweg 53, 44135 Dortmund,

g e g e n

Frau … Oer-Erkenschwick,

Klägerin und Berufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte … Dortmund,

hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Bochum

auf die mündliche Verhandlung vom 07.06.2016

durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht …, die Richterin am Landgericht … und den Richter am Landgericht …

für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 13.10.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

 

(Entscheidungsgründe Beschaffenheitsvereinbarung:)

G r ü n d e :

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Rückabwicklung des geschlossenen Vertrages über die streitgegenständliche Brille nicht zu.

Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Vertrag ‐ wie vom Amtsgericht angenommen ‐ um einen Kaufvertrag oder einen Werkvertrag handelt, da sich weder nach §§ 433, 434, 437 Nr. 2 BGB noch nach §§ 631, 633, 634 Nr. 3 BGB, jeweils in Verbindung mit §§ 346 Abs. 1, 323 BGB ein Recht der Klägerin zum Rücktritt vom Vertrag ergibt.

(Mangel und Beschaffenheitsvereinbarung im § 434 BGB:)

Die Brille weist zwar zur Überzeugung der Kammer einen Mangel dahingehend auf, dass die Brille nicht der tatsächlichen Sehstärke der Klägerin angepasst ist. Die Gläser der streitgegenständlichen Brille sind zur Korrektur einer Weitsichtigkeit auf einem und einer Kurzsichtigkeit auf dem anderen Auge sowie einer Hornhautkrümmung ausgelegt.

Wie der Sachverständige in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt hat, leidet die Klägerin jedoch unter keiner Fehlsichtigkeit, so dass die Brille insoweit für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als ungeeignet anzusehen ist.

Jedoch liegen die Rücktrittsvoraussetzungen gemäß § 323 Abs. 1 BGB nicht vor, da die Klägerin dem Beklagten insoweit keine Fristsetzung zur Nacherfüllung gesetzt hat. Eine Korrektur der Werte der Brillengläser wäre durch die Anfertigung neuer Gläser möglich. Der Beklagte hat dies auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung weiterhin angeboten, ohne dass die Klägerin jedoch bereit gewesen wäre, hierauf einzugehen.

(Die Beschaffenheitsvereinbarung im Detail im Urteil:)

Die Klägerin hat nicht zur Überzeugung der Kammer zu beweisen vermocht, dass der Verdunkelungsgrad der Brille nicht dem entspricht, was bei Vertragsabschluss vereinbart werden ist. Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erneut dargelegt hat, welche Erwartungshaltung sie an die von ihr erworbene Brille gestellt hat, versteht die Kammer den Vortrag der Klägerin nach intensiver Befragung nunmehr so, dass diese das Vorstellungsbild hatte, dass ihre Brille sowohl in dem Autohaus, in welchem sie arbeitet, als auch etwa hinter der Windschutzscheibe eines Autos so stark verdunkeln sollte, dass der Verdunklungsgrad einer Sonnenbrille erreicht wird. Dabei sollte die Brille allerdings in Räumen, in die kein Licht fällt, nicht getönt wirken, damit die Kunden beim Erstkontakt der Klägerin in die Augen würden sehen können. Für eine derartige Beschaffenheitsvereinbarung ist die Klägerin beweisbelastet. Diesen Beweis zu führen ist ihr nicht gelungen.

Der Zeuge … … hat den Vortrag der Klägerin zwar in den Grundzügen bestätigt.

Jedoch hat sich die Kammer anhand seiner Aussage schon nicht ausreichend davon zu überzeugen vermocht, dass dem Beklagten gegenüber hinreichend deutlich kommuniziert worden wäre, was die genaue Vorstellung der Klägerin von der Beschaffenheit der Brillen war. Dies liegt bereits darin begründet, dass die Klägerin und der Zeuge …, bei dem es sich um ihren Ehemann handelt, bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung nur mit sehr gezielten Nachfragen in der Lage waren, das vorgestellte Anforderungsprofil an die Brille konkret zu formulieren. Wenn dies also schon in der Verhandlung vor der Kammer nur mit Mühe gelang, besteht kein Anlass zu der Annahme, dass die Klägerin ihre Vorstellung bei dem Verkaufsgespräch klarer formuliert hätte.

Der Zeuge hat zwar durchaus glaubhaft geschildert, dass dem Beklagten mitgeteilt wurde, dass die Brille zwar nicht in einem fensterlosen Raum, wohl aber jedoch in einem Raum, in den Sonnenlicht durch ein Glasfenster falle, verdunkeln solle. Dies tut die Brille ausweislich der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen auch, allerdings nicht in dem Ausmaß, wie dies bei einer Sonnenbrille der Fall wäre. Dass die Klägerin jedoch wünschte, dass die Brille im Inneren eines Gebäudes sowie hinter der Windschutzscheibe eines Autos ebenso stark verdunkeln solle wie eine Sonnenbrille, hat der Zeuge schon nur auf explizite Nachfrage ohne weitere Details bestätigt.

Die Kammer vermag ihre Entscheidung auf diese Angabe nicht zu stützen, was neben der bereits dargelegten Zweifel an der hinreichenden Kommunikation des Anforderungsprofils an der Brille durch die Klägerin auch darin begründet liegt, dass sowohl der Zeuge … als auch die Zeugin … jeweils dargelegt haben, dass auch der zusätzliche Erwerb einer Sonnenbrille durch den Beklagten ins Gespräch gebracht worden ist.

Dies legt schon nahe, dass der Beklagte zumindest davon ausging, deutlich gemacht zu haben, dass die Brille im Inneren von Räumen und Autos gerade nicht im selben Ausmaß verdunkele wie eine Sonnenbrille. Bereits anhand dieses Vorschlags hätte die Klägerin auch zu erkennen vermocht, dass ‐ sofern man unterstellt, dass sie ihr Anliegen deutlich und verständlich genug kommuniziert hätte ‐ dass jedenfalls der Beklagte von anderen Voraussetzungen an die gewünschte Brille ausging, als sie selbst, da dieser Vorschlag keinen Sinn gemacht hätte, wenn bereits die gewünschte Brille ebenso stark verdunkelt hätte wie eine Sonnenbrille.

Die Kammer bezweifelt auch, dass die Umsetzung der Wunschvorstellung der Klägerin technisch überhaupt möglich gewesen wäre. Anhand der Ausführungen des Sachverständigen liegt nahe, dass eine so starke Abdunkelung der Brillengläser, dass eine Vergleichbarkeit mit einer Sonnenbrille gegeben wäre, hinter einem Glasscheibe nicht möglich ist, da die Abtönung der Gläser durch das Auffangen von UV-Strahlen erfolgt. Solche werden jedoch von einer Fenster- oder Windschutzscheibe bereits soweit herausgefiltert, dass eine Tönung der Gläser nur noch in geringerem Ausmaß erfolgen kann. Auch dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, da die Kammer aus den oben genannten Gründen auch nicht festzustellen vermag, dass die Klägerin ihre Vorstellung von der Brille so klar kommuniziert hätte, dass der Beklagte ihr Ansinnen als technisch unmöglich hätte erkennen und sie darauf hinweisen müssen. Auch ein Anspruch aus der Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht in Form einer Aufklärungspflicht liegt somit nicht vor.

Ein zum Rücktritt berechtigender Mangel der Brille liegt mithin nicht vor. Die Klage war folglich als unbegründet abzuweisen.

Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache konnte der Klägerin auch ein Freistellungsanspruch hinsichtlich ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht zuerkannt werden.

 

(Die Nebenentscheidung Beschaffenheitsvereinbarung:)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Kammer hat die Revision nicht zugelassen, da die diesbezüglichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

… … …