Adressbuchabzocke / Anzeigenabzocke:
Der heute hier vorgestellte Fall beschreibt die zivilrechtliche Situation einer sog. Adressbuchabzocke, mit der unbedarfte Unternehmer um nicht unerhebliche Beträge gebracht werden.
Adressbuchabzocke / Grundsituation:
Die sog. Adressbuchabzocke / Anzeigenabzocke beschreibt den Umstand, dass Unternehmen seit mehreren Jahren immer wieder versuchen, unbedarfte andere Unternehmer mit einem unscheinbaren Vordruck, der vermeintlich nur eine Korrektur einer bestehenden Adresse des Unternehmers in einer Datenbank bspw. eines Telefonbuchanbieters oder Verlages darstellt, zu täuschen und diese dazu zu bewegen, dieses vermeintliche Korrekturformular unterschrieben zurückzusenden. Die Adressbuchabzocke besteht nun darin, dass in einem unscheinbaren Fließtext an einer wenig beachteten Stelle sehr kleingedruckt und überraschend vermerkt ist, dass mit der Zurücksendung dieses Formulars eine zweijährige Mitgliedschaft bei dem Verlagsunternehmen begründet ist und regelmäßig ein Betrag von um die 700,00 € im Voraus zu entrichten sei. Ein weiterer Wesensaspekt der Adressbuchabzocke ist es, dass der Eindruck erweckt wird, der angeschrieben Unternehmer können einen unentgeltlichen Basiseintrag beibehalten, wenn er nur das Formular zurück sendet. Das Amtsgericht Dortmund hat in einem beeindruckenden Urteil der Adressbuchabzocke durch das Unternehmen GES Registrat GmbH einen Riegel vorgeschoben.
Adressbuchabzocke / Urteil des AG Dortmund vom 25.08.2015:
423 C 4772/15 Sch.
Verkündet am 25.08.2015
Amtsgericht Dortmund
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
der GES Registrat GmbH, vertr. d. d. Geschäftsführer … , Klägerin,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt … Erfurt,
g e g e n
Herrn … :, Inhaber des … Dortmund, Beklagten,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Reissenberger‚ Ostenhellweg 53, 44135 Dortmund,
hat das Amtsgericht Dortmund
auf die mündliche Verhandlung vom 25.08.2015
durch den Richter am Amtsgericht …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e (Adressbuchabzocke):
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 399,99 € gemäß § 611 Abs. 1 BGB.
Die Klägerin kann sich nicht auf die schriftliche Vereinbarung vom 27. März 2015 / 10. April 2015 berufen.
Die Vereinbarung eines jährlichen Entgeltes in dem am 10.04.2015 unterzeichneten Formular, welches als Allgemeine Geschäftsbedingung einer Inhaltskontrolle nach §§ 305, 305 c, 310 Abs. 1 BGB unterliegt, ist unwirksam.
Adressbuchabzocke (Verstoß gegen das Transparenzgebot):
Sie stellt einen Verstoß gegen das Transparenzgebot und gemäß § 305 c Abs. 1 BGB eine ungewöhnliche Bestimmung dar, mit der der Beklagte als Vertragspartner des Verwenders, der Klägerin, nicht rechnen musste.
Adressbuchabzocke (überraschende Klausel):
Die klägerseits verwendete formularmäßige Entgeltabrede ist wegen ihres überraschenden Charakters nicht Vertragsbestandteil geworden (§ 305 c Abs. 1 Satz 1 BGB). Diese Vorschrift findet auch gegenüber Unternehmern Anwendung (§ 310 BGB). Nach dieser Vorschrift werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil.
Einen überraschenden Inhalt hat eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen dann, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (BGH, NJW 2010, 671).
Generell kommt es dabei nicht auf den Kenntnisstand des einzelnen Vertragspartners, sondern auf die Erkenntnismöglichkeiten des für derartige Verträge in Betracht kommenden Personenkreise an (BGH, NJW 2002, 3627). Auch der ungewöhnliche äußere Zuschnitt einer Klausel und ihre Unterbringung an unerwarteter Stelle können die Bestimmung zu einer ungewöhnlichen und damit überraschenden Klausel machen (BGH, NJW 2010, 3152). Wird dabei eine Leistung, die in einer Vielzahl von Fällen auch unentgeltlich angeboten wird, von einem Verwender gegen Entgelt angeboten, so wird eine solche Entgeltklausel, die nach der drucktechnischen Gestaltung des Antragsformulars so unauffällig in das Gesamtbild eingefügt ist, dass sie von dem Vertragspartner des Klauselverwenders dort nicht vermutet wird, gemäß § 305 c Abs. 1 Satz 1 BGB nicht Vertragsbestandteil (BGH, Betriebsberater 2012, 2718 für einen Grundeintrag in einem Branchenverzeichnis im Internet).
Adressbuchabzocke (Anwendbarkeit auch auf Unternehmer):
Der Umstand, dass sich Formularschreiben an Gewerbetreibende richtet, die nicht als geschäftlich unerfahren angesehen werden können, ist ohne maßgebliche Bedeutung. Gerade selbständige Geschäftsleute sind häufig in zeitlicher Bedrängnis. Sie sind geneigt, den Inhalt von Postsendungen, eingeteilt nach „Reklame“ und „Geschäftspost“, mit einem Blick zu sichten (Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 15,04.2011, Aktenzeichen 38 O 148/10, zitiert nach Juris). So liegt der Fall hier.
Adressbuchabzocke (Unternehmen Gewerberegistrat):
Das von der Klägerin verwendete Formular macht nicht hinreichend deutlich, dass es sich um ein Angebot zum Abschluss eines entgeltlichen Vertrages handelt. Der Hinweis auf die Vergütungspflicht in der rechten Längsspalte, die kleingedruckt ist, geht im ihn umgebenden Fließtext unter. Zunächst erzeugt die drucktechnische Gestaltung des Formulars den Eindruck eines behördlichen Anschreibens. Es wird ein Wappen und darüber das Wort „Gewerberegistrat“ verwendet.
Darunter wird als „Abteilung“ das Wort „Registrierung“ dargestellt.
Es wird zudem von einer Registratsnummer gesprochen und das gesamte Formular wird mit dem Schlagwort „Erfassung gewerblicher Einträge (§ 14 BGB)“ und dem Ort Dortmund eingeleitet. Bereits diese Umstände erwecken den Anschein, dass es sich um ein behördliches Anschreiben einer Behörde handelt, die sich mit dem Gewerberegister beschäftigt. Sodann wird in der linken Spalte in Fettdruck hervorgehoben, welche Merkmale der Kunde aufweist. Hier sind zum Teil bereits Voreintragungen getätigt. Ferner wird angeführt, dass der Betroffene die Angaben ergänzen „muss“. Er wird aufgefordert anzugeben, ob es sich um eine Hauptniederlassung, eine Zweigniederlassung handelt und ob der Betrieb umsatzsteuerbefreit ist. In Fettdruck wird angegeben, dass eine Rückantwort gebührenfrei ist. All diese Umstände veranlassen einen durchschnittlichen Leser anzunehmen, es handele sich um eine behördliche Anfrage bei der bestehende Daten des betriebenen Unternehmens abgefragt und die Ergänzungen gebührenfrei übermittelt werden können. Dass dies nicht so ist, ergibt sich erst aus dem Kleingedruckten der rechten Spalte. Hier ergibt sich noch nicht einmal aus einer eigenständigen Überschrift die Vergütungspflicht, diese ist vielmehr im Fließtext versteckt unter der Überschrift „Standardeintrag“.
Adressbuchabzocke (Verstoß gegen das Verschleierungsverbot und das Irreführungsverbot):
Diese Entgeltpflicht geht im Fließtext unter und kann mit einem Blick nicht erkannt werden. Es wäre der Klägerin ein leichtes gewesen, durch drucktechnische Hervorhebung und sprachliche Gestaltung die Vergütungspflicht ebenso hervorzuheben, wie diejenigen Umstände, die den Leser veranlassen zu glauben, es handele sich um eine behördliche Auskunft bzw. Anfrage. Das von der Klägerin verwendete Formular ist nach seiner Gestaltung und seinem Inhalt darauf angelegt, bei einem flüchtigen Leser den Eindruck hervorzurufen, mit der Unterzeichnung und Rücksendung des Schreibens werde lediglich eine Aktualisierung von Eintragungsdaten vorgenommen. Dies verstößt gegen das Verschleierungsverbot des § 4 Nr. 3 OWiG sowie gegen das Irreführungsverbot des § 5 Abs. 1 OWiG (OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.02.2012, Aktenzeichen l‐20 U 100/11).
Durch die Unterzeichnung und Rücksendung des klägerisch verwendeten Formulars durch den Beklagten ist damit eine Entgeltvereinbarung nicht zustande gekommen, da die fragliche Klausel gegen § 305 BGB verstößt.
Adressbuchabzocke (Trick eines nachträglich geführten Telefonats):
Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht auf das im Nachhinein geführte Telefongespräch mit der Begründung stützen, das Vertragsverhältnis sei telefonisch bestätigt und auf einen Preis von 399,99 € abgewandelt worden.
Zum einen kann sich die klagende Partei bereits nicht auf eine entsprechende Änderung eines Vertragsverhältnisses berufen, da zuvor ein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien mangels Einbeziehung der Entgeltvereinbarung nicht begründet worden ist.
Wenn ein Vertrag nicht besteht, kann er auch nachträglich nicht hinsichtlich einzelner Leistungspflichten abgeändert werden. Selbst wenn man aber in der telefonischen Bestätigung der Zahlungspflicht in Höhe von 399,99 € durch den Beklagten eine Neuvornahme einer Vereinbarung sehen würde, kann die Klägerin zu ihren Gunsten hieraus keine Zahlungspflicht herleiten.
Adressbuchabzocke (Irrtum und Anfechtung):
Zum einen hat die beklagte Partei die auf Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung gerichtete Willenserklärung wirksam angefochten. Denn die beklagte Partei befand sich zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung in dem Telefongespräch in einem klägerseits initiierten Irrtum über die Verpflichtung zur Zahlung des aus dem verwendeten Formular folgenden Betrages. Die Klägerin hat durch das verwendete Formular bei dem Beklagten den Irrtum erregt, dieser sei vertraglich zur Zahlung von 588,00 € verpflichtet. In dem Telefongespräch ist lediglich zu hören, dass die Klägerin bzw. eine ihrer Mitarbeiterinnen dem Beklagten anbietet, den Betrag auf 400,00 € zu reduzieren. Damit hat die Klägerin den ihrerseits initiierten und hervorgerufenen Irrtum auf Seiten der beklagten Partei weitergehend ausgenutzt, um so das Anspruchsbegehren auf einen weiteren Umstand zu stützen.
Da sich die beklagte Partei aber in einem klägerseits initiierten Irrtum über die bestehende Vergütungspflicht befunden hat, war er berechtigt im Nachhinein seine Erklärung, sein Einverständnis zur Abänderung, nach Maßgabe des § 119 BGB anzufechten. Denn der Beklagte wollte eine solche Erklärung nicht abgeben. Diese Anfechtung ist auch unverzüglich erfolgt.
Adressbuchabzocke (Verstoß gegen Treu und Glauben):
Darüber hinaus wäre es der klagenden Partei auch verwehrt, sich auf dieses Telefongespräch und die dort abgegebenen Erklärungen zur Anspruchsbegründung zu berufen. Denn es widerspräche dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, dass derjenige der bei einem Vertragspartner einen Irrtum über eine nicht bestehende Zahlungspflicht erregt und weiter unterhält, unter Ausnutzung dieses Irrtums die andere Partei veranlasst eine weitere Erklärung abzugeben, aus der eine Zahlungspflicht begründet werden könnte. Ein solch treuwidriges Verhalten führt auf Klägerseite dazu, dass diese sich zur Begründung des Anspruchs nicht auf diese Umstände berufen kann. Das Gericht ist aufgrund der Anhörung der beklagten Partei auch davon überzeugt, dass die Klägerin durch eine ihrer Mitarbeiterin den Irrtum über die angeblich begründete Zahlungspflicht in dem Telefongespräch aufrecht erhalten und durch ein vorgespieltes Entgegenkommen den Beklagten veranlasst hat. eine der Höhe nach abgewandelte Willenserklärung zur Bestätigung des Rechtsgeschäfts abzugeben Die Klägerin selber hat auch niemals vorgetragen, vor Abgabe der bestätigenden Willenserklärung durch den Beklagten diesen darauf hingewiesen zu haben, dass aus der schriftlichen „Vereinbarung“ eine Zahlungsverpflichtung nicht entstanden ist. Entsprechendes lässt sich auch nicht aus dem Telefonmitschnitt entnehmen. Die Klägerin hat daher den von ihr inizierten Irrtum aufrechterhalten und ausgenutzt. Nach Treu und Glauben kann sie sich zur Begründung eines Anspruchs hierauf nicht berufen.
Die Klage war dementsprechend abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 ZPO erkennbar nicht gegeben sind.
Die klagende Partei hat nicht aufgezeigt, dass es im hiesigen Bezirk bereits widerstreitende Entscheidungen zu einer streitgegenständlichen Rechtsfrage gibt.
…