Der Fahrerlaubnisentzug/Führerscheinentzug – Grundsätzliches:
Ein Fahrerlaubnisentzug kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 111 a StPO i. V. m. § 69 Abs. 2 Ziffer 2 StGB i. V. m. § 316 StGB erfolgen, wenn der Fahrer entweder über 1,1 ‰ BAK (Blutalkoholkonzentration) aufweist und damit absolut fahruntüchtig ist oder zwischen 0,3 ‰ und 1,1 ‰ BAK aufweist und einen Fahrfehler beging, so dass von einer relativen Fahruntüchtigkeit ausgegangen werden kann.
Der Fahrerlaubnisentzug/Führerscheinentzug – Fall vor dem AG Hamm:
In nachstehendem Fall hatte die Staatsanwaltschaft Dortmund den vorläufigen Fahrerlaubnisentzug nach § 111 a StPO i. V. m. § 69 Abs. 2 Ziffer 2 StGB i. V. m. § 316 StGB beantragt, weil der Mandant am 28.05.2014 gegen 23.35 Uhr auf der A44 in Fahrtrichtung Dortmund auf einen vorausfahrenden Pkw auffuhr. Der Mandant hatte den deutlich langsamer fahrenden Pkw vor ihm zu spät gesehen, zumal es auch sehr dunkel war. Insbesondere gab es keine Straßenbeleuchtung. Der Mandant hatte eingeräumt, vor der Fahrt Alkohol zu sich genommen zu haben. Er wies eine BAK von 0,63 ‰ auf, was im Zusammenhang mit einem schweren Auffahrunfall und einem hohen Sachschaden regelmäßig zur Annahme der relativen Fahruntüchtigkeit und damit zum vorläufigen Fahrerlaubnisentzug führt.
Der Fahrerlaubnisentzug/Führerscheinentzug – Antrag von RA Reissenberger:
RA Reissenberger hatte beantragt, vom Fahrerlaubnisentzug nach § 111 a StPO i. V. m. § 69 Abs. 2 Ziffer 2 StGB i. V. m. § 316 StGB ist abzusehen, da ein Regelfall des § 316 StGB nicht gegeben und eine relative Fahruntüchtigkeit nicht belegt ist und daher den Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.
Im Einzelnen wurden folgende Gründe gegen den vorläufigen Fahrerlaubnisentzug ins Feld geführt:
- Es war am 28.05.2014 gegen 23.35 Uhr sehr dunkel. Insbesondere gab es keine Straßenbeleuchtung, wie den Lichtbildern der Akte entnommen werden kann. Nach Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 316 StGB Rn. 27 ff rechtfertigt nicht jeder Fahrfehler die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit. Besonders leichtfertige Fahrweisen, überhöhte Geschwindigkeit, waghalsige Fahrweisen, besondere Fahrfehler etc. …, die die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit nahelegen könnten, sind nicht ersichtlich. Mein Mandant beruft sich auf ein Augenblicksversagen, auf einen kurzen Augenblick der Unaufmerksamkeit, wie ihn jedermann erleiden kann. Dieses Augenblicksversagen wurde begünstigt, weil es sehr dunkel war. Nach Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 316 StGB Rn. 30 ff rechtfertigten besonders ungünstige äußere Bedingungen, namentlich die Dunkelheit (BGHSt 31, 42), die Annahme, dass der Unfall sich auch ohne eine leichtgradige Alkoholisierung ereignet hätte und eine relativer Fahruntüchtigkeit bei einem Unfall ohne weitere Indizien nicht angenommen werden kann. Dieser Umstand spricht also gegen eine relative Fahruntüchtigkeit.
- Alkoholbedingte Ausfallerscheinungen nach dem Unfall gegenüber der Polizei werden nicht beschrieben, eher das Gegenteil, da mein Mandant als klar, sicher und beherrscht beschrieben wurde. Auch dieser Umstand spricht also gegen eine relative Fahruntüchtigkeit.
- Gegenüber der Polizei haben die Geschädigten bekundet, mit ca. 100 km/h gefahren zu sein, Blatt 5 d. EA. Mein Mandant wird damit zitiert, sehr schnell gefahren zu sein. Mein Mandant betont, es nicht eilig gehabt zu haben. Er ist auch nicht sehr schnell, wenngleich deutlich schneller als die Geschädigten gefahren. Möglicherweise ist das auch mit den verschiedenen Fahrzeugen erklärbar. Die Geschädigten fuhren einen alten Lancia, während mein Mandant einen neuen BMW X6 fuhr. Ausgehend von dem Umstand, dass die Geschädigten in Unna in der … Straße wohnhaft sind, sich kurz vor der Abfahrt befanden, ist davon auszugehen, dass sie mit nicht mehr all zu hoher Geschwindigkeit fuhren, um abzufahren, so dass sich daraus der Geschwindigkeitsunterschied herleiten lässt. Mein Mandant bedauert den Unfall und das Auffahren. Er hat den aus seiner Sicht sehr langsam fahrenden Pkw aber wegen der Dunkelheit zu spät realisiert. Es handelt sich um ein Verhalten, dass häufig auch ohne Alkoholeinfluss vorkommt. Auch dieser Umstand spricht also gegen eine relative Fahruntüchtigkeit.
- Die Staatsanwaltschaft übernimmt -zu Unrecht- die Vermutungen der Geschädigten, mein Mandant sei ohne Licht gefahren. Unabhängig von der Tatsache, dass der BMW X 6 über eine Lichteinschaltautomatik verfügt und sich bei Dunkelheit automatisch einschaltet und hier auch eingeschaltet hat, erkennt man auf Blatt 21 und 22, dass der BMW X 6 auch noch zum Zeitpunkt der Fertigung der Lichtbilder eingeschaltetes Licht aufweist. Sieht man sich indes die Lichtbilder des Lancia an, so kann man nicht erkennen, dass Rückleuchten eingeschaltet waren. Mein Mandant kann sich auch nicht erinnern, dass diese eingeschaltet waren. Dies würde neben der -relativ- langsamen Geschwindigkeit und der Dunkelheit möglicherweise ein weiteres zusätzliches Indiz ergeben können, weshalb der Lancia nur schwer und zu spät für meinen Mandanten zu erkennen gewesen ist. Nach alledem erscheint in jedem Falle der Sachverhalt zum jetzigen Zeitpunkt im Mindestmaße nicht in der Form aufgeklärt zu sein, dass die dringenden Gründe des § 111 a StPO gegeben sind, Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 111a StGB Rn. 4. Auch dieser Umstand spricht also gegen eine relative Fahruntüchtigkeit.
- Mein Mandant ist bisher nicht negativ aufgefallen und die letzten 3 Monate beanstandungsfrei gefahren. Es wird daher hilfsweise auf eine Entscheidung des AG Bernkastel-Kues, BA 06, 158 verwiesen, wonach das Amtsgericht -unabhängig von den bisher hier aufgezeigten Gründen- allein schon deshalb einen Ausnahme vom Regelfall des § 69 Abs. 2 StGB annahm, weil der dortige Beschuldigte eine BAK von 0,63 ‰ -exakt wie hier!- aufwies und 4 Monate beanstandungsfrei nach dem Unfall ein Pkw im Straßenverkehr führte.
- Schließlich ist noch anzuführen, dass mein Mandant mehrere Gaststätten in Dortmund an verschiedenen Standorten betreibt, die er alle selbst ständig anfahren muss. Mein Mandant ist daher auf eine Fahrerlaubnis dringend angewiesen.
- Zusammenfassung der Gründe, die gegen einen Fahrerlaubnisentzug sprechen: Mein Mandant bedauert den Unfall und die von ihm hervorgerufenen Schäden. Diese beruhen jedoch aufgrund der vorgenannten Umstände nicht auf einer relativen Fahruntüchtigkeit, so dass eine Ungeeignetheit zum Führen von Kfz weder besteht sich noch in einer HV erweisen wird, so dass eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht angezeigt ist und sie ihn unverhältnismäßig belasten würde.
Der Fahrerlaubnisentzug/Führerscheinentzug – Beschluss des AG Hamm:
11 65-924 Js 764/14-526/14
Amtsgericht Hamm
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen …,
geboren am … in …,
wohnhaft …, … Dortmund,
deutscher Staatsangehöriger
Verteidiger: Rechtsanwalt Sven Reissenberger, Ostenhellweg 53, 44135 Dortmund
wegen Gefährdung des Straßenverkehrs durch Alkoholgenuss
wird der Antrag der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 02.07.2014 auf die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zurückgewiesen. Es liegen keine dringenden Gründe für die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit vor. Zwar ist bei dem Beschuldigten einen BAK von 0,63 ‰ festgestellt worden, im Übrigen ergeben sich aber aus dem Arztbericht und den ergänzenden polizeilichen Feststellungen keine Hinweise auf eine signifikanten Beeinträchtigung des Beschuldigten durch Alkohol. Der durch den Unfall aufgezeigte Fahrfehler kann durch alkoholische Beeinflussung entstanden sind, es kann sich jedoch auch um einen Fahrfehler gehandelt haben, der nicht im Zusammenhang mit dem Alkoholgenuss steht.
Hamm, 25.08.2014
…
Richter am Amtsgericht